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Die Armee der Zwei

15. März 2017

Wie sehr spricht es für einen Film, wenn er seit 27 Jahren entwickelt wird? Angeblich soll Martin Scorsese schon in den frühen 90er Jahren sein Interesse daran geäußert haben, den Roman „Chinmoku“ des japanischen Autoren Endo Shusaku zu verfilmen. Er fertigte ein Drehbuch an, war dann damit unzufrieden und werkelte anschließend über zehn Jahre weiter daran. Kann das gut werden? Oder wird man dann betriebsblind, verrennt sich in seinen eigenen Träumen über einen perfekten Film, der an einem so sehr am Herzen liegt? Wer weiß… aber scheinbar ließ Scorsese dieses Projekt trotz all der anderen Filme, die er in der Zeit drehte, nicht los. Sollte man also nicht auch diese Sturheit bewundern? Immerhin hat er es nach 27 Jahren endlich geschafft, sich dieses Traumprojekt zu erfüllen. Bleibt nur die Frage, ob Martin Scorseses „Silence“ das lange Warten auch rechtfertigt…

Die beiden Jesuiten-Mönche Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garupe (Adam Driver) begeben sich so gegen 1638 ins ferne Japan. Sie wollen hier Rodrigues‘ einstigen Mentor Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) finden, der angeblich seinem Glauben abgesagt haben soll. Beide Priester können und wollen das nicht glauben, doch als sie im Land der aufgehenden Sonne ankommen, müssen sie am eigenen Leib erfahren, wie vehement die Christen in Japan verfolgt werden. Dennoch ist vor allem Rodrigues gewillt, seinen alten Lehrer wiederzufinden – und dabei den christlichen Glauben an die einfachen Menschen Japans weiterzugeben.

Friendly Neighborhood Priest-Man

Als ich den ersten Trailer zu „Silence“ sah, musste ich unweigerlich an Francis Ford Coppolas „Apocalpyse Now“ denken… und in gewisser Weise hat mich dieser Vergleich nie so ganz loslassen können. Beide Filme teilen sich das Offensichtlichste: Es sind große Epen über eine Reise ins Ungewisse. Genau wie Captain Willard begibt sich Pater Rodrigues auf die Suche nach einem verschollenen Mann, der vom „rechten Weg“ abgekommen ist. Während sich Coppola dann jedoch wirklich auf diese reine Suche bezieht und uns dabei das Chaos des Krieges und den Wahnsinn dahinter näherbringt, ist Scorseses „Silence“ sehr viel spiritueller. Es geht weniger um die Suche von Rodrigues, sondern vielmehr darum, wie lange es wohl dauert, bis er selbst seinem Glauben absagen könnte. Und das war in gewisser Weise noch sehr viel härter als alles, was uns Coppola zu bieten hatte.

Die Verfolgung der Christen in Japan ist ja ein historischer Fakt, den wir durch Rodrigues und seinen Bruder Garupe miterleben müssen. Und Scorsese lässt uns die Leiden dieser beiden Priester aufs Extreme spüren. Der Film wird selbst zu einer langen Tortur, bei der man sich immer wieder fragt, wie lange diese Priester sich wirklich auf ihren Glauben berufen können. Bei all dem Leid, das sie miterleben müssen, möchte man doch meinen, sie würden irgendwann klarer denken. Aber ihre religiöse „Sturheit“, ihr unbedingter Glaube an die Richtigkeit ihres Handelns wird selbst zur größten Strafe. Das macht „Silence“ auf zwei verschiedene Arten schwer zu schauen: Zum einen ist es eben diese religiöse Beharren, zum anderen ist es tatsächlich das zermürbende Erzähltempo.

Da ist dann auch wieder der Unterschied zu „Apocalypse Now“: Viel Bewegung herrscht in „Silence“ nicht. Letztendlich besteht der Film aus der Glaubenskrise der Priester und dem sehr grafischen Zurschaustellen der Folter-Methoden der Japaner. Das verteilt sich dann auf eine stolze Laufzeit von 160 Minuten. „Silence“ wird zu einer wirklichen Geduldsprobe, was aber irgendwie – trotz des zähen Tempos – gut zum Film passt: Rodrigues‘ Glauben ist halt so fest, dass er nicht loslassen kann.

Man muss es auch echt Andrew Garfield zugute schreiben, der wirklich hervorragend ist. Nach „Hacksaw Ridge“ widmet er sich schon wieder einem sehr religiösen Stoff und schon wieder meistert er das Ganze mit Bravour. Mittlerweile muss man ja wirklich froh sein, dass seine Zeiten als Spider-Man vorzeitig beendet wurden sind. Garfield trägt „Silence“ über weite Strecken. Ich habe seinen Priester Rodrigues gehasst (weil er nicht einsichtig war), ich habe ihn geliebt (weil er an einigen Stellen doch einsichtiger war als man es für möglich gehalten hat). Es ist eine interessante Rolle, eine interessante Figur in einem interessanten Film, der einfach manchmal etwas zu lange in den einzelnen Momenten verweilt.

Taken (in Japan)

Was man definitiv noch lobend zu „Silence“ erwähnen sollte, ist die Machart. Die Bilder sind gewaltig, episch und intim zugleich. Scorsese findet in der Schönheit Japans alles, was er für diese Geschichte braucht. Das Ganze wird dann nur noch verfeinert durch ein unglaublich intensiven Sound. Auch wenn der Film „Silence“ heißt, so ist es doch nie wirklich still. Ich würde es nicht erwähnen, wenn es mir nicht so sehr aufgefallen wäre, aber die Geräuschkulisse des Films trägt unheimlich viel zum Erleben bei: ob es nun das sanfte Zirpen der Grillen ist, das Rauschen des Meeres, der Wind oder eben die qualvollen Schreie der Gequälten, der Singsang der Sterbenden – das alles bohrt sich zusätzlich noch einmal tief ins Hirn.

„Silence“ ist ein heftiger Film – sowohl von der Geschichte, die erzählt wird, als auch von der laaaangen Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird. Nichtsdestotrotz ein packender Scorsese – bleibt nur noch die Anfangsfrage, ob sich die fast 30 Jahre Warten dafür wirklich gelohnt haben.

Wertung: 7,5 von 10 Punkten (Scorseses Traum ist hart, aber auch sehr zäh)

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