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Temporale Kriegsführung

31. August 2020

Christopher Nolan könnte einen Film über das Wachsen von Gras drehen und ich würde ins Kino rennen. Punkt. Nolan ist noch einer der wenigen Regisseure, die keine Stars brauchen, um ihre Filme für mich schmackhaft zu machen. Nolan steht aber auch für etwas: handgemachtes und herausforderndes Kino. Klar, es gibt viele, die nörgeln und meinen, er würde nur Exposition an Exposition reihen. Ist eine Meinung, aber nicht meine. In meinen Augen hat der gute Mann noch keinen einzigen schlechten Film in die Kinos gebracht…und spielt dabei jedes Mal gekonnt mit den Konventionen und mit den Erwartungen seiner Zuschauer. Nolan bringt Filme ins Kino, da kann man nie so wirklich wissen oder auch nur erahnen, was einem da vorgesetzt wird. Genauso ist es auch bei „Tenet“ – ein Film, auf den wir ja dank Corona lange warten mussten. Für mich war es das erste Mal Kino seit gut sechs Monaten… und es hätte kein besserer Start ins Kino-Gehen sein können.

Ich will diese Kritik so spoilerfrei wie möglich halten, deswegen mache ich die Inhaltsangabe auch nur sehr kurz: Wir haben unseren Protagonisten (gespielt von John David Washington), der den Auftrag bekommt, den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Dabei wird er von einer Wissenschaftlerin auf Inversion aufmerksam gemacht: Gegenstände und auch Personen sind dabei invertiert, sprich: sie sind mit umgekehrter Zeit aufgeladen. Ein gefährlicher Gegner will das nutzen, um die Welt in den Untergang zu stürzen. Hilfe bekommt unser Protagonist dabei von Neil (Robert Pattinson).

Mehr zu wissen, wäre nicht gut. Es ist so, wie sehr oft in diesem Film gesagt wird: Es ist besser nicht zu viel zu wissen, sondern es eher zu fühlen. Sprich: Weniger vorab wissen ist mehr wert. Da bleibt das wunderbare Zeitreise-Chaos, das uns Nolan hier serviert, nur noch viel wunderbarer. Wobei ich auch sagen muss, dass „Tenet“ definitiv die Art von Film ist, die man mehrmals gucken muss. Das erste Mal für den absoluten Mindfuck, das zweite Mal, um den Mindfuck in seine Einzelteile zu zerlegen und vielleicht ein drittes Mal, um sagen zu können, was wann wie abgelaufen ist.

Ganz ehrlich, mit all dem Zeitreise-Inversion-Elementen hat mich „Tenet“ ein wenig an „Dark“ zurückerinnert. Mit dem Unterschied, dass ich „Tenet“ am Ende eher begreifen konnte. Aber zwischendurch war meine Verwirrung nicht weniger groß als bei „Dark“. Zum Glück schafft es Nolan dennoch, dieses Inversionskonzept recht gut zu erklären. Dass ich es voll und ganz verstanden habe, kann ich dennoch nicht behaupten. Genug auf jeden Fall, um am Ball zu bleiben.

Dieser Ball wird von Nolan dann so gekonnt in Szene gesetzt, dass man einfach nur geplättet ist. Wenn man bedenkt, dass hier fast alles in Handarbeit und ohne viele Computer-Effekte gemacht wurde, kann man nicht anders, als Nolan als Regisseur und Visionär Respekt zu zollen. Wie er es schafft, selbst in Action-Sequenzen zwei Ebenen zu halten, ist Wahnsinn. Wenn in einer Action-Szene eine Partei invertiert ist und die andere nicht, entstehen Bilder, bei denen mir der Kopf raucht, wenn ich nur versuche nachzuvollziehen, wie das gemacht wurde. „Tenet“ ist der Wahnsinn, wenn es um das Handwerkliche geht. Hier zeigt sich wieder, dass Nolan ein Regisseur ist, der um die Ecke denkt, der Neues ausprobiert. Was Nolan in diesem Film an Action auf die Leinwand zaubert, ist einfach nur atemberaubend…

Gedreht an Original-Schauplätzen, wobei jeder Schauplatz Grundlage für eine neue aufregende Action-Sequenz ist, wirkt „Tenet“ fast schon wie ein Bond-Film. Und letztendlich ist er das irgendwo auch – nur eben ein Bond-Film mit Menschen, die zeitlich verlagert sind. Nolan benutzt das altbekannte Spionage-Konzept und macht es zu etwas ganz Eigenem. Wie sich nach und nach alle Puzzleteile zusammenfügen, macht aus einer einfachen Story ein komplexes Verwirr-Spiel, bei dem wir als Zuschauer kaum schlauer sind als unser Protagonist.

Wer sich jetzt aber wundert, warum ich bislang noch nicht über John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki und Co gesprochen habe… die Charaktere in „Tenet“ sind nicht gerade sonderlich stark ausgebaut. Hier setzt Nolan einfach nur darauf, dass sie irgendwie durch den Plot führen. Man hätte auch x-beliebige Darsteller ohne großen Namen nehmen können. Denn in „Tenet“ geht es um das Konzept, weniger um die Charaktere. Das kann man schärfer kritisieren oder auch nicht. Es ist für mich jetzt nicht so tragisch, da der Rest es einfach alles trägt.

„Tenet“ ist super. Nolan festigt einmal mehr seinen Ruf als jemand, der Blockbuster mit Köpfchen macht. „Tenet“ ist ein Erlebnis, das für mich nicht besser die Rückkehr zum Kino hätte einleiten können.

Wertung: 9 von 10 Punkten (Nolan spielt mit der Zeit… und das auf gewohnt großartige Art und Weise)

10 Kommentare leave one →
  1. 2. September 2020 08:31

    „Christopher Nolan könnte einen Film über das Wachsen von Gras drehen und ich würde ins Kino rennen“
    Der war gut.
    Nach der Zweitsichtung bin ich mir sicher, dass einer der besten Nolanfilme ist. Ich mag alles, selbst die so oft kritisierten Charaktere.

    • donpozuelo permalink*
      2. September 2020 09:20

      Danke, danke 😅

      Ich gucke den jetzt am Wochenende noch ein zweites Mal. Da bin ich schon sehr gespannt, wie der dann wirkt

      • 2. September 2020 15:04

        Da du ihn ja doch sehr mochtest wird sich das wahrscheinlich bestätigen, ist mein Educated Guess

        • donpozuelo permalink*
          2. September 2020 15:31

          Ich denke mal auch…

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