Mahlers Fünfte unter Tár
Es ist mal wieder Zeit für einen Film, bei dem ich vorher nicht wirklich wusste, was mich erwarten würde. Die ersten Trailer zu „TÁR“ mit Cate Blanchett wirkten extrem „artsy-fartsy“ und schwer. Für mich gezogen hat dann tatsächlich eher Regisseur Todd Field, dessen Film „Little Children“ wirklich ein heftiges Drama gewesen ist (das ich schon länger nicht mehr gesehen habe, wie mir gerade einfällt). Also bin ich zu Teilen wegen Field, aber natürlich auch wegen Blanchett ins Kino gegangen, die für ihre Performance auch überall gefeiert wird. Als ich nach knapp 160 Minuten das Kino verließ, brauchte ich eine ganze Weile über dieses Monstrum von einem Film zu verarbeiten.
Lydia Tár (Blanchett) ist Star-Dirigentin, die sich gerade daran macht, ihre Version von Gustav Mahlers Fünfter Symphonie live in Berlin aufzunehmen. Alles wäre so einfach, wenn Tár nicht noch zig andere Probleme hätte: Ihre Beziehung mit ihrer Frau, der Violinistin Sharon (Nina Hoss) wird immer wieder wegen Társ Flirts mit anderen Frauen auf die Probe gestellt: da wäre zum Beispiel eine ehemalige Studentin namens Krista, da wäre dann noch Társ Assistentin Francesca (Noémie Merlant) und die neue Cellistin Olga (Sophie Kauer)…
Ich hatte wirklich Angst, dass dieser Film zu anstrengend werden könnte. Das wurde nicht gerade dadurch besser gemacht, dass direkt zu Beginn erstmal der Abspann läuft. Das wirkte etwas befremdlich, unnatürlich… dann setzt aber irgendwann der Film ein und wir sehen ein sehr langes und ausführliches Interview mit Lydia Tár, in dem wir erstmal feststellen, was für eine intelligente und besonnene Frau sie ist. Wenig später sehen wir sie beim Unterrichten, hier erleben wir sie dann als schlagfertige Frau, die gestochen scharf argumentiert und sich auch nicht in die Enge drängen lässt. Wir sehen dabei dann auch schon in einigen Szenen ihre Wirkung auf andere Frauen, spüren, dass selbst ihre Assistentin Gefühle für sie zu haben scheint. Wir erfahren, dass Lydia Tár sich vor nichts und niemandem versteckt oder kleinmacht, sondern selbstbewusst ihr Ding durchzieht.
Todd Field und Cate Blanchett bauen hier das Fundament für eine starke Figur sehr gemächlich und ruhig auf… doch mit der Reise nach Berlin und den dortigen Proben zieht uns Field so langsam den Boden unter den Füßen weg. Wie schon der Anfang des Film mit dem Abspann befremdlich wirkte, beginnt nun auch der restliche Film, sich merkwürdig anzufühlen. Tár wird offensichtlich gestalkt, hat Probleme mit einer ehemaligen Studentin und wird scheinbar auch von etwas Übernatürlichem (?) verfolgt… man weiß es nie so ganz genau.
Aber genau das macht den Mittelteil des Films so unglaublich intensiv. Cate Blanchett spielt sich dazu noch die Seele aus dem Leib und geht in dieser Rolle extrem gut auf… und so sehr ich Michelle Yeoh in „Everything Everywhere All At Once“ feiere – die schauspielerisch stärkere Leistung liefert Blanchett hier ab. Wenn sie lange Monologe über Klassik hält, wenn sie süffisant ihren Studenten auffliegen lässt, wenn sie sich mit ihrer Tochter und ihrer Frau unterhält, wenn sie langsam in den Wahnsinn steigt – Blanchett gibt die volle Zeit 150 Prozent und ist einfach unglaublich gut!
Unter Fields Regie entsteht hier einfach eine wahre Tour de force, die wirklich alles hat, um selbst in den schönsten Momenten einem einen Schauer über den Rücken ziehen zu lassen…Es gibt nämlich eine Szene, die den Film perfekt zusammenfasst:
Társ Tochter Petra (Mila Bogojevic) wird an der Schule wegen ihre Mütter gemobbt… und Tár nimmt das Ganze selbst in die Hand. Sagt dem Mädchen, sie würde sie kriegen, und wenn sie was sagt, würde ihr eh niemand glauben. Und zum Schluss sagt sie ihr „Gott sieht alles!“. Dieser kurze Moment lässt sich auch auf Lydia Tár zurückbeziehen – Gott ist in diesem Fall ein Stalker, der sie ständig im Visier hat, dem scheinbar nichts aus ihrem Leben entgeht… und auch sie ist einer höheren Macht unterlegen, die sie nicht kontrollieren kann. Diese eine Szene wirkt auf jeden Fall noch sehr nach und steht ein bisschen für das, was Tár hier widerfährt.
Und trotzdem hat der Film ein großes Problem: Er kommt nicht zum Ende. Die fast drei Stunden merkt man nicht, aber sie wirken trotzdem schwer nach. Was irgendwie auch daran liegt, dass es zum Schluss zwar einige Konsequenzen für das Verhalten einer Lydia Tár gibt, aber für uns als Zuschauer nicht so viele Antworten, wie wir vielleicht gerne gehabt hätten. Sicherlich ist das auch irgendwie symbolisch für diese Figur zu betrachten, die ihren Weg geht und sich dann einfach etwas Neues sucht, um den Vorwürfen an ihrer Person zu entkommen. Das sieht man leider auch zu oft in der realen Welt – und das bringt Todd Field auf den Punkt, auch wenn er sich dafür sehr viel Zeit lässt.
„Tár“ ist auf jeden Fall kein leicht verdaulicher Film, aber ein wahnsinnig intensives und auch bildgewaltiges Film-Erlebnis.
Wertung: 7 von 10 Punkten (Field lässt eine Blanchett hier richtig stark aufspielen)
Als ich aus dem Kino kam, waren mir 2 Sachen sofort klar: 1. ich hätte gerne mehr Musik gehabt (bin großer Klassik-Fan und liebe die Mahler – Symphonien). 2. Cate Blanchett war großartig. Hab zwar leider nur die deutsche Synchro gesehen, weil ich mit meiner Mama im Kino war, aber allein ihre Körpersprache ist fantastisch. Insgesamt ein toller Film, obwohl (oder gerade weil) nicht alles aufgelöst und erklärt wird.
Ja, gegen ein bisschen mehr Musik (statt nur drüber reden) hätte ich auch nicht schlecht gefunden.
Und ja, Blanchett ist super in dem Film!
So besonnen fand ich Tar in dem Interview und danach gar nicht. Viel mehr ungemein von sich selbst überzeugt. Bis fast ins blasphemische. Wenn sie beispielsweise Frauenförderung abtut und das Gendern als Pipifax bezeichnet, dann merkt man, dass sie eher eine „Queen Bee“ ist, die nichts neben sich duldet. Alle anderen Menschen bezeichnet sie ja gern mal als Robote, nur weil sie nicht so machen wie sie will … das fand ich schon ganz spannend.
Der hat mir punktemäßig ein Stückchen besser gefallen als dir 😀 Ich fand auch das Ende mal ganz spannend und dass die Endroll als erstes lief. Legt ein bisschen Fokus auf diejenigen, die sonst eben, naja, immer zuletzt genannt werden.