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Random Sunday #54: Die Chroniken des Aufziehvogels

16. Mai 2021

Haruki Murakami gehört zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Auch wenn ich nicht jedes Buch von ihm wie wild abfeiere (gerade die jüngeren Bücher waren vielleicht nicht immer so unbedingt meins – so harte ich zum Beispiel doch ein wenig mit „Die Ermordung des Commendatore“ zu kämpfen und auch „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ haben mich nicht so abgeholt, wie ich es sonst bei Murakami gewohnt war). Murakami zu lesen ist aber (egal ob ich ein Buch nun besonders mag oder nicht) immer ein Erlebnis. Doch jahrelang gab es da ein Erlebnis, das einen bitteren Geschmack hinterlassen hatte. Während des Studiums brachte mich ein guter Freund Murakami näher. Durch ihn lernte ich „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt“ kennen und lieben, ging auf „Wilde Schafsjagd“ und erkor später „Kafka am Strand“ zu einem meiner absoluten Lieblingsbücher. Doch irgendwo dazwischen las ich nichts Böses ahnend „Mister Aufziehvogel“. Ein Roman, der sich mir nie so richtig erschloss und den ich als eher schlecht in Erinnerung behielt.

Erst sehr viel später checkte ich dann, warum das der Fall war: „Mister Aufziehvogel“ wurde damals aus dem Englischen übersetzt… und der englische Übersetzer Jay Rubin „erlaubte“ sich noch zahlreiche Kürzungen des Romans und angebliche Korrekturen von Logikfehlern des Autors. Autsch… kein Wunder, dass ich den „Aufziehvogel“ nie so ganz verstehen konnte. Erst 2020 erschien endlich eine neue Auflage unter dem Titel „DIE CHRONIKEN DES AUFZIEHVOGELS“, dieses Mal direkt aus dem Japanischen übersetzt – und dann auch noch von Ursula Gräfe, die deutsche Hauptübersetzerin von Murakamis Texten. Sie liefert nun quasi den „Director’s Cut“, der auch direkt mal 300 Seiten länger ist… und tatsächlich auch so viel besser.

Es beginnt alles mit einem merkwürdigen Anruf, den Toru Okada eines Tages bekommt. Eine Frau, die er nicht kennt, ist am Apparat und will ihn nur für 10 Minuten sprechen. Als das Gespräch dann aber plötzlich sehr sexuell wird, legt Okada auf. Er hat schließlich andere Sorgen: Er sucht seinen Kater. Seine Frau Kumiko bringt ihn irgendwann sogar mit einem Medium in Verbindung, die bei der Suche nach dem Tier helfen soll… doch dann verschwindet auf einmal Kumiko einfach so aus Herrn Okadas Leben – und der Kater ist sein geringstes Problem. Bei der Suche nach seiner Frau kommt Okada selbst mit vielen anderen Frauen in Kontakt: dem Medium Malta Kano und deren Schwester Kreta Kano, die von Kumikos einflussreichem Bruder auf eine besonders obskure Art und Weise misshandelt wurde. Seine Nachbarin, die junge May Kasahara sowie die mysteriöse Frau am Telefon gehören auch noch dazu. Dafür, dass Herr Okada seine eigene Frau sucht, hat er weiterhin viele Frauen in seinem Leben, wie May Kasahara mal lakonisch bemerkt. Später spielt dann noch ein Brunnen eine besondere Bedeutung in Herrn Okadas Leben und die Geschichte des japanisch-sowjetischen Grenzkonflikts ebenso.

„Die Chroniken des Aufziehvogels“ ist ein ordentlicher Wälzer. Knapp 1000 Seiten dick und ein wunderschönes Beispiel dafür, wie herrlich verschroben und komisch Murakami schreiben kann. Die Geschichte von Toru Okada ist gespickt mit Sex, mit Verwirrung, mit Geschichte, mit Brutalität, mit vielen Fragezeichen. Mehr denn je zeigt sich hier aber auch, wie gut Murakami darin ist, all das unter einen Hut zu bekommen. Das Ganze ist gewürzt mit dieser Prise Murakami Magie, die uns in andere Welten entführt, die nicht unsere zu sein scheinen. Hier und da hatte ich gerade bei den „Chroniken des Aufziehvogels“ Flashbacks zu bestimmten Episoden aus „The Leftovers“, wenn Kevin im Quasi-Jenseits durch dieses Hotel irrt. Etwas ähnliches passiert auch Okada.

Die Suche nach seinem Kater, die dann durch die viel aufregendere Suche nach seiner Frau abgelöst wird, treibt Herrn Okada voran und bringt ihn und uns als Leser in Situationen, die sich nur ein Murakami ausdenken kann. Die nur ein Murakami interessant und faszinierend erzählen kann. Was ist schon an einem Typen, der sich in einen Brunnen hockt, spannend? Eigentlich nichts, aber wenn er dadurch auf einmal in andere Ebenen gerät schon.

Okadas Suche ist sexy, tiefsinnig, ergreifend und manchmal auch einfach nur lapidar erzählt, aber Murakami führt uns mit diesem verzweifelten Mann durch seine Geschichte. Hier und da verliert sich das Ganze in extremer Gewalt… die vor allem anderen Menschen als Herrn Okada wiederfährt, die aber trotzdem immer auch irgendeinen Bezug zu seiner Suche oder zu den Menschen um ihn herum hat. Es ist schon spannend, wie Murakami hier die Schicksale verschiedener Menschen mit der einen Suche des Herrn Aufziehvogels, wie May Kasahara Okada immer nennt, verbindet.

Es gibt nur eine Sache, die mich etwas verwirrt hat. In Teil 3 (das Buch ist in drei Teile geteilt) kommt Kapitel 2, das sehr viel besser und logischer erst zwischen Kapitel 8 und 9 gepasst hätte… und ich bis heute nicht rausgefunden habe, ob das von Murakami so gewollt gewesen ist (vielleicht ist das auch einer dieser „Logikfehler“, die Jay Rubin in seiner Übersetzung berichtigt hat). Aber letztendlich hat mich das auch nicht zu sehr aus dieser Geschichte gerissen…

… und die ist wirklich nur Murakami pur. Die verschiedenen Charaktere, die Okada über den Weg laufen, sind typisch Murakami. Okada selbst ist auch einfach nur ein klassischer Murakami „Held“, der sich unerwartet in einem Chaos wiederfindet und einen Weg da raus sucht. Die ganzen Verstrickungen des Schicksals, der Kampf um Macht, um Liebe und all das herrlich magische und wirre Drumherum machen den „Aufziehvogel“ zu meiner neuen Murakami-Nummer-Eins. Ursula Gräfe ist einfach auch eine tolle Übersetzerin, die es schafft, Murakamis Magie wunderbar ins Deutsche zu übertragen.

Trotz seiner Fülle bin ich förmlich durch „Die Chroniken des Aufziehvogels“ gerast und war auch im Nachhinein noch schwer beeindruckt. Jetzt muss ich nur noch kosten, ob mir Cutty Sark so gut schmeckt wie Murakami, der dem Whiskey ja schon einen besonderen Platz in seiner Geschichte einräumt.

Die Neuübersetzung lohnt sich auf jeden Fall… für jeden Murakami-Fan ein Muss!

3 Kommentare leave one →
  1. 5. Juni 2021 18:25

    Ja nach dem Commendatore und Pinball/Wind habe ich mir auch erstmal eine kleine Murakami-Pause verschrieben, weil die alle 3 bzw 4 nicht so meins waren. Dabei sind alle von dir oben genannten Murakamis auch meine Lieblings-Murakamis! 🙂 Tatsächlich habe ich auch an einigen Diskussionen teilgenommen und mitgelesen, die die Rolle der Frauen in Murakamis Büchern hinterfragen und bei denen ich etwas in einen Gewissenskonflikt gekommen bin und ich mich nun frage, ob er frauenfeindlich ist bzw. die objektifiziert (ist das ein Wort?) In dem Buch scheinen einige aufzutreten, vielleicht sollte ich das tatsächlich mal lesen. Spannend klingt es in jedem Fall!
    Ich durfte Ursula Gräfe mal live erleben auf der „Nippon Connection“ und war begeistert von der Frau. Sie hat spannende Geschichten zu erzählen.

    • donpozuelo permalink*
      6. Juni 2021 15:57

      Commendatore war auch nicht so mein Fall und auch bei Pinball gebe ich dir Recht. Ich war auch eher skeptisch und wollte auch ne Pause einlegen. Aber die neue Übersetzung von Aufziehvogel ist echt gut.

      Ich glaube nicht, dass Murakami frauenfeindlich ist. So würde ich ihn nicht betrachten. Objektifiziert er sie durch seine Charaktere? Ja, das kann man ihm eher vorwerfen. Aber es sind bei ihm doch auch die Frauen, die sehr viel Macht haben…

      Ist wirklich ne interessante Debatte, die man mal in Ruhe betrachten müsste.

      Aufziehvogel solltest du aber echt in der Neuübersetzung ne Chance geben. Ist wirklich super.

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