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Filmreise Etappe #38: Der Anti-Rocky

10. Juli 2020

Sylvester Stallone hat mit seinem ersten Rocky-Film eine Feel-Good-Story geschrieben: Der Underdog Rocky arbeitet hart an sich, trainiert wie ein Wilder, rennt Treppen hoch und hüpft da rum, verliebt sich und bekommt am Ende den Kampf, für den er so hart gekämpft hat. „Rocky“ ist einfach toll… es ist die Art von Film, die ein Martin Scorsese nicht machen würde. Wenn er einen Box-Film macht, dann macht er einfach den Anti-Rocky daraus. Zumal Scorsese anfangs erst gar keinen Boxer-Film machen wollte. Aber seine Muse Robert De Niro lag ihm mit der Geschichte des Boxers Jake LaMotta so lange in den Ohren, bis Scorsese den Film dann doch machte und eben mit „Raging Bull – Wie ein wilder Stier“ den perfekten Anti-Rocky erschuf.

Jake LaMotta (De Niro) ist Boxer im Mittelgewicht und will Champion werden. Jake ist für seine brutale Art zu kämpfen mehr als nur bekannt und arbeitet sich langsam hoch. Sein Bruder Joey (Joe Pesci) ist dabei immer an seiner Seite. Um sich Chancen auf den Titel zu machen, gehen Jake und Joey einen Deal mit der Mafia ein. Leider ist Boxen nicht das Einzige, worauf sich Jake konzentriert: Er ist ein eifersüchtiger und brutaler Ehemann, der seine Frau Vickie (Cathy Moriarty) ständig hinterfragt und in jedem Mann an ihrer Seite einen potenziellen Liebhaber seiner Frau sieht. Probleme sind da vorprogrammiert… Probleme, die auch Jakes Karriere und Freundschaft zu seinem Bruder beeinflussen.

„Raging Bull“ ist ein unangenehm zu schauender Film, was irgendwie auch positiv gemeint ist. Mehrmals möchte man seinen Blick angewidert vom Bildschirm wenden… zum einen liegt das an Jake LaMotta selbst. De Niro und Scorsese zeigen uns einen widerlichen Mann, für den man kaum Mitgefühl entwickeln kann, weil er es einfach auch nicht zulässt. LaMotta ist ein Tier, er ist wirklich der „Raging Bull“ aus dem Titel… und das leider nicht nur im Ring. Wie er mit seinem Bruder umgeht, wie er vor allem auch mit seiner Frau umgeht, ist nur schwer zu schlucken. De Niro bringt so eine unglaubliche Kälte zu dieser Rolle, so eine kontrollierte Bosheit, die schnell zu unkontrollierter Wut werden kann. Selbst wenn er mit seinen Kindern oder seiner Frau friedlich zusammen ist, wartet man eigentlich nur darauf, dass er gleich wieder explodiert.

De Niro ist so unglaublich gut in dieser Rolle eklig zu sein. Man spürt das Animalische in ihm. Man spürt sofort, dass dieser Mann ein Pulverfass ist. Er ist kein sympathischer Typ und erstaunlicherweise vermeidet Scorsese es auch, auch nur einen Moment in seinen Film einfließen zu lassen, in dem man so etwas wie Empathie für diesen Typen aufbauen könnte. Das ist wirklich mehr als bemerkenswert. Dafür gilt die Empathie des Zuschauers vor allem seiner Frau und seinem Bruder, gespielt von einem jungen Joe Pesci. Der hat hier nicht nur seine erste größere Rolle, sondern beginnt hier auch seine lange Film-Partnerschaft als De Niros zweite Hand. Was man später in „Casino“, „GoodFellas“ und Co. von Pesci kennt, sieht man hier in seinen Anfängen und er ist schon hier einfach nur gut.

„Raging Bull“ ist aber auch wegen seiner Kämpfe unangenehm zu gucken. An dieser Stelle muss man dann schon von Glück sprechen, dass sich Scorsese dazu entschieden hat, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen. Wenn LaMotta seine Gegner malträtiert, spritzt das Blut in Fontänen durch die Gegend. Abgesehen von der Brutalität im Kampf, die natürlich perfekt LaMottas Persönlichkeit widerspiegelt, sind die Kämpfe an sich grandios in Szene gesetzt. Die Kamera schwirrt immer um die Kämpfer herum, man hat das Gefühl selbst im Ring zu sein. Doch auch hier muss ich wieder an „Rocky“ denken: Da fiebert man bei den Kämpfen mit. Scorsese setzt nicht auf „Träumereien“, bei ihm steigert sich die Brutalität der Kämpfe so sehr, dass man einfach nur noch hofft, es hört endlich auf.

Scorseses einziger Ausflug in die Welt des Sports wird immer wieder als einer der besten Filme aller Zeiten gefeiert, ein Klassiker seiner Zeit und der Filmgeschichte. Ganz ehrlich, so ganz kann ich es nicht sehen. De Niro ist großartig, Pesci auch, die Kämpfe sind toll… aber die Story zieht sich ein wenig wie Kaugummi. Scorsese zeichnet durchaus ein aufregendes Bild der Bronx und der italo-amerikanischen Gemeinde in der Bronx… dennoch fühlt sich das Ganze etwas gestreckt an, weil einfach so viel auf einmal zu passieren scheint. Dennoch… „Raging Bull“ ist schon ein starker Film, der nur nicht so leicht zu verdauen ist.

Wertung: 8 von 10 Punkten (De Niros Italion Bull ist das Zerrbild zu Stallones Italion Stallion)

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