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Visionen in Venedig

12. November 2021

Ich finde es kommt nicht oft vor, dass ich mal deutsche Titel von Filmen lobe. Aber in diesem Fall muss ich echt mal eine Ausnahme machen. Nach langer, langer Zeit habe ich mich mal einen Film gewidmet, den mir ein Arbeitskollege vor Ewigkeiten (bestimmt anderthalb Jahre) ausgeliehen hatte. Ein Horror-Film mit dem wundervoll poetischen Namen „WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN“… ich finde allein schon dieser Titel trägt eine gewisse melancholische Schwere mit sich. Der englische Original-Titel klingt weitaus weniger spektakulär mit seinem auffordernden Schrei „Don’t Look Now“… lahm, aber okay. Zum Glück ist das am Ende nicht als Aufforderung für den kompletten Film zu verstehen, bei dem ich schon sagen muss: „Look Now“.

John Baxter (Donald Sutherland) und seine Frau Laura (Julie Christie) halten sich gerade in Venedig auf, wo Baxter damit beschäftigt ist, eine alte Kirche zu restaurieren. Gleichzeitig soll dieser Venedig-Aufenthalt auch ein wenig dafür sorgen, dass das Ehepaar den tragischen Tod ihrer jungen Tochter Christine verarbeiten kann (während Sohnemann ins Internat geschickt wird, obwohl er den Tod seiner kleinen Schwester mitansehen musste – hätte man theoretisch noch ein Sequel mit Fokus auf den Bruder machen können 😀 ). Doch in Venedig lernt Laura die beiden Schwestern Wendy (Clelia Matania) und Heather (Hilary Mason). Heather ist blind, verfügt aber über das zweite Gesicht und erklärt Laura, dass ihre Tochter Christine bei ihnen und glücklich ist. Während Laura total in dieser Aussage aufgeht, verweigert sich John diesem Hokuspokus… bis er selbst anfängt, mysteriöse Dinge zu sehen, wie zum Beispiel ein kleines Mädchen in rotem Mantel, das durch die engen Straßen von Venedig vor ihm wegzulaufen scheint.

Ich wollte „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ schon immer mal gucken, wird der Film doch als einer der besten Horror-Filme aller Zeiten angepriesen und taucht in unzähligen Bestenlisten auf. Doch gerade zu Beginn des Films dachte ich, dass wird jetzt wieder mal so eine Klassiker-Sichtung, die mir nicht gefallen wird. Die Anfangssequenz mit dem Tod von Christine setzt Regisseur Nicolas Roegg noch sehr atmosphärisch um und spielt hier schon mit dem Thema der Vorhersehung, das sich dann durch den ganzen Film ziehen wird. Wenn wir dann aber in Venedig ankommen, wurde es mir erstmal ein bisschen dröge…

… bis es zu der skandalösen Sex-Szene zwischen Sutherland und Christie kam. Diese Szene löste damals in den 70er Jahren einen heftigen Skandal aus. Vor allem, weil es hieß, Sutherland und Christie hätten wirklich vor laufender Kamera miteinander Sex gehabt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diese Szene damals für Furore gesorgt und den Fokus vom Rest des Films genommen hat. Ich verstehe sogar, warum diese Szene im Film so auftaucht, wie sie auftaucht – gerade Laura hat dank der Nachricht, ihre tote Tochter sei glücklich, neue Lebensenergie gefunden und zelebriert das hier quasi. Allerdings wirkt diese „Feier“ eher wie ein Ringkampf. Ich musste echt bei ein paar Einstellungen schmunzeln und habe mich hier und da auch gefragt, wie es anatomisch möglich sein kann, so Sex zu haben.

Aber hey… ich will „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ jetzt nicht auf seine eine Sex-Szene beschränken. Wie gesagt, ich brauchte ein bisschen, um in die Story zu kommen, aber irgendwann ist man vollkommen in dieser Story aus mysteriösen Erscheinungen gefangen. Wenn Laura wegen einem scheinheiligen Grund nach London gerufen und John allein ist, geht der Film eigentlich erst so richtig los. Und hier funktioniert dann alles. Venedig als ewiges Labyrinth spielt seinen Part zur Perfektion. Nicolas Roegg (übrigens der gleiche Nicolas Roegg, der auch „Hexen hexen“ gedreht hat) entwickelt mit der Kamera-Arbeit von Anthony Richmond (teils sehr wackelige Bilder, die fast wirken als wären es Point-Of-View-Shots einer unsichtbaren Gestalt oder wir als Zuschauer sind selbst Teil des Films), mit seinem sonderbar wirkenden Schnitt (manchmal sind Ereignisse schon vorher zu sehen und passieren dann im nächsten Schnitt mit einer zeitlichen Verzögerung) und der ganzen Symbolik (Wasser, zerbrochenes Glas und die Farbe Rot spielen immer wieder eine Rolle) einen verstörend-verwirrenden Film, bei dem man selbst irgendwann nicht mehr weiß, was wirklich passiert und was nicht.

Das ganze Erlebnis von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ wird wunderbar surreal, ist allerdings auch kein typischer Horror-Film. Roegg taucht vielmehr in die Psyche von John Baxter ein und schickt den in ein Labyrinth des Irrsinns. Auch die einzelnen Nebendarsteller sorgen für dieses unwirkliche und ungemütliche Gefühl – gerade der komische Polizist, mit dem sich John irgendwann trifft, wirkt sehr absurd.

Ich brauchte ein bisschen, um mich mit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ anfreunden zu können, aber je mehr ich über den Film nachdenke, desto mehr merke ich, was für ein clever ausgearbeiteter Film dahinter steckt… ein Film, den ich mir definitiv noch ein weiteres Mal anschauen werde – um all die kleinen Dinge entdecken zu können, die Roegg geschickt einbaut, um dieses wunderbare Gefühl von Angst in einen Film zu packen.

Wertung: 8 von 10 Punkten (anfangs eher schleppend, dann wirklich faszinierend – ein unheimlicher Trip)

9 Kommentare leave one →
  1. 12. November 2021 15:17

    Donald Sutherlands Frisur reicht ja schon, um den Film als Mystery einzuordnen…

    Habe ihn vor ein paar Jahren auch das erste Mal gesehen, nachdem Pastewka irgendwo über ihn geredet hatte. Fand ja, man merkt dem Film sein Alter schon etwas an, er funktioniert aber immer noch und Venedig ist quasi wie eine zusätzliche Hauptfigur.

    • donpozuelo permalink*
      14. November 2021 17:46

      Ja, das Alter merkt man in jeder Szene, aber er funktioniert immer noch gut. Braucht zwar seine Weile, um in die Gänge zu kommen, aber dann… wirken Sutherlands Frisur und der Rest richtig gut 😅

  2. 12. November 2021 18:55

    Ich bin nicht an den Film rangekommen. War einfach nicht meins

    • donpozuelo permalink*
      14. November 2021 17:47

      Kann ich absolut verstehen. Der Film istgerade in der ersten Hälfte auch wirklich sehr anstrengend.

  3. 12. November 2021 23:26

    Als Teenagerin fand ich ihn richtig gut, später dann etwas sperrig, heute eher anstrengend. Tja der Geschmack ändert sich, aber nichtsdestotrotz bleibt es ein wichtiger Film fürs Genre. Roeg ist schon speziell, aber ich schätzte seine Werke.

    • donpozuelo permalink*
      14. November 2021 17:48

      Roeg ist schon ein interessanter Regisseur. Hexen hexen und dann sowas wie die Gondeln hier… ich glaube, als Teenager hätte ich den möglicherweise für sperrig gehalten. Das ist er aber auch jetzt immer noch… nur halt doch sehr interessant

  4. 4. Dezember 2021 20:52

    Wird Zeit, dass ich den nochmal schaue. Bei der Erstsichtung war ich Teenager und enorm unbeeindruckt davon. Kann mich aber an kaum etwas noch erinnern … vielleicht hatte ich einen schlechten Tag ^^

    • donpozuelo permalink*
      5. Dezember 2021 11:52

      Als Teenager hätte ich den vermutlich auch eher langweilig gefunden. Ich glaube, das ist so ein Film, dafür muss man als Film-Fan ein wenig gereift sein, um sich auch darauf einlassen zu können. Klingt jetzt sehr geschwollen, aber bei dem Film passt es.

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