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Becoming Gracie

12. Juni 2024

Seit einiger Zeit schon verfolgt mich im Kino der Trailer zu „MAY DECEMBER“… und ich hatte auch sehr Lust auf den Film mit Natalie Portman und Julianne Moore. Was mich nur immer irritiert hat, war der Titel selbst. Weil egal, wie häufig ich den Trailer sah, es erschloss sich mir nicht, was es nun ausgerechnet mit dem Mai und Dezember auf sich hat. Selbst nach dem Film musste ich mit hinsetzen und das Internet befragen. Jetzt bin ich endlich schlauer… und wer weiß, vielleicht weiß das auch schon jeder außer mir, aber ich schreibe es hier einfach mal auf (im schlimmsten Fall einfach nur für mich): „May December“ ist ein Ausdruck aus dem amerikanischen Englisch, der auf eine Ehe oder romantische Beziehung zwischen einer sehr jungen und einer deutlich älteren Person anspielt. Zwischen Mai und Dezember liegt halt viel Zeit. So also… und jetzt macht der Titel für diesen Film auch endlich Sinn:

Die Schauspielerin Elizabeth Berry (Portman) will für ihre nächste Rolle Nachforschungen anstellen. Sie soll nämlich Gracie Atherton-Yoo (Moore) spielen. Die geriet vor Jahren in die Schlagzeilen, weil sie als 36-jährige Lehrerin eine Affäre mit einem Siebtklässler hatte. Im Gefängnis gebar sie sogar dessen Kind… und wider aller Erwartungen sind Gracie und Joe (Charles Melton) auch jetzt nach so vielen Jahren zusammen. Das Auftauchen von Elizabeth reißt dabei einige Wunden auf und sorgt für Gefühlschaos bei allen Beteiligten.

„May December“ ist ein Brett. Ich meine, die Handlung lässt das schon erahnen, aber Regisseur Todd Haynes und vor allem Drehbuchautorin Samy Burch liefern hier ein spannendes Drama ab, das unglaublich klug in die Köpfe seiner Figuren eintaucht. Es ist echt so intensiv, beklemmend und faszinierend zugleich, das mit anzuschauen: Elizabeth setzt sich da in diese Familie – und scheint sich gar nicht so wirklich bewusst zu sein, was sie da alles an Staub aufwirft. Wir sehen es dann aber gerade an Joe, der sich dadurch mit Entscheidungen und Fragen konfrontiert sieht, die er sich in diesem Leben mit Gracie so vermutlich noch nie gestellt hat – sie aber unterschwellig auch zu haben scheint. Schließlich erfahren wir, dass er immer wieder mit jemandem aus einer Facebook-Gruppe von Schmetterlingszüchtern schreibt.

Burch durchleuchtet diese absurde Dreieckskonstellation, die hier entsteht, wirklich auch sehr kluge Art und Weise, stellt die Fragen, die wir uns auch stellen würden… und so zeigt uns der Film: a) eine Schauspielerin, die einfach nur investigativ und „objektiv“ sein möchte, b) einen jungen Mann, der anfängt, mehr und mehr sein Leben zu hinterfragen und c) eine von allen gebeutelte Frau, die versucht, ihr Leben im Griff zu halten. Doch gerade am Ende wird deutlich: Gracie darf nicht unterschätzt werden.

„May December“ ist ein durch und durch packender Film, der es schafft, teilweise wie ein Reality-TV-Drama zu wirken (was vor allem auch immer dann auffällt, wenn die Musik von Marcelo Zarvos anschwillt wie bei einem billigen TV-Filmchen – was sich nur auf mein Beispiel beziehen soll, die Musik selbst ist super und wird einfach sehr effektiv eingesetzt). Doch gerade diese Wirkung trübt nicht darüber hinweg, wie viel Drama in all dem steckt… und faszinierend ist auch, wie man sich selbst – obwohl man sich eigentlich außen vornehmen will – dann doch fasziniert ist von dem, was man dank Elizabeth‘ Nachforschungen von den unterschiedlichsten Beteiligten so alles erfährt. Da haben wir dann dieses voyeuristische Reality-TV-Drama, jeder hat seine Meinung und alles wird gefühlt nur noch krasser, ohne das man so richtig weiß, wem man was glauben soll.

Wie gesagt, „May December“ ist dank dem großartigen Drehbuch wirklich ein intensiver Film, der dann dank einer fantastischen Natalie Portman, einer großartigen Julianne Moore und einem tollen Charles Melton auch schauspielerisch in jeder Szene zu punkten weiß. Regisseur Todd Haynes verbindet das alles zu einem packenden Thriller-Drama mit Detektiv-Einlagen, mit einer gewissen Prise Humor, aber auch mit sehr viel Momenten, in denen man sich ertappt fühlt, in denen man sich unwohl fühlt, in denen man innehalten und nachdenken will. Starker Film, der noch echt gut nachwirkt.

Wertung: 9 von 10 Punkten (richtig gut, richtig unangenehm, richtig bewegend)

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