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Random Sunday #134: Poor Things

24. März 2024

Eigentlich wollte ich den Roman, auf dem Yorgos Lanthimos‘ neuester Film „Poor Things“ basiert, noch vor dem Film lesen. Ich kam dann nur leider nicht so richtig dazu und so kam der Film dann doch zuerst. Was aber eigentlich auch sehr spannend ist, gerade in der Debatte rund um den Film, der ja doch auch nicht von allen so wohlwollend aufgegriffen wurde – gerade wenn es auch um das Thema Feminismus geht. Da war ich dann tatsächlich gespannt, ob ein alter Schotte namens Alasdair Gray in seinem 1992 veröffentlichten Roman „POOR THINGS“ eventuell doch anders mit seiner Frankenstein-Geschichte umgeht. Deswegen… das hier wird vermutlich mehr ein Vergleichstext als eine richtige Kritik. Aber auch ein bisschen davon…

1911 stirbt der renommierte Arzt Archibald McCandless und hinterlässt seine Memoiren mit dem Titel „Episodes from the Early Life of a Scottish Public Health Officer“. Über Umwege landet dieses Manuskript bei Alasdair Gray, der das Ganze dann in einer leicht überarbeiteten Version als „Poor Things“ veröffentlicht… der wahren Geschichte von McCandless und wie er rund um das Jahr 1880 seinen Studienkollegen Godwin Baxter kennenlernt und so schon bald auch dessen „Experiment“ Bella Baxter. McCandless ist fasziniert von der jungen Frau, die dann aber erstmal mit dem schmierigen Anwalt Duncan Wedderburn eine für sich die Welt eröffnende Reise macht.

Die Grundzüge von Roman und Film sind tatsächlich die gleichen, aber es fängt schon mit McCandless und Godwin an. Im Film ist er mehr der Mentor, der ältere Wissenschaftler, dem nur an Wissenschaft gelegen ist. Alasdair Gray macht ihn gleichalt zu McCandless… und sein Grund Bella zu erschaffen, ist dann doch ein viel männlicherer: Er will einen weiblichen Kompagnon, weil er nie Liebe durch eine Frau gespürt hat, weil er super verkorkst durch seinen komischen Vater aufgewachsen ist (Godwins Hintergrundgeschichte wird im Roman stärker in den Vordergrund gerückt, um einfach auch noch sehr viel deutlicher zu machen, warum er so ein Fremdkörper in dieser Zeit ist). So ist es dann auch ein Godwin, der seine Bella noch vor der großen Reise mit Wedderburn auf eine kleine Welttournee nimmt, die ihn aber niedergeschlagen zurücklässt, weil Bella mehr an anderen Menschen und Erfahrungen mit denen interessiert ist, als mit Godwin. Daher lässt er dann auch missmutig zu, dass McCandless Bella den Antrag macht…

Bevor die Beiden aber heiraten können, schnappt sich Duncan Wedderburn sie… aber anders als Mark Ruffalo im Film, ist Wedderburn im Buch extrem schnell von Bella überfordert und sie kann somit mehr ihr eigenes Ding durchziehen. Wie ich es mir dann schon während des Films gedacht habe, kommen wir zum größten Unterschied zum Film: Die Seereise von Bella ist eine der längsten Passagen im Roman. Hier lässt Gray seine Protagonistin auf zwei Männer treffen, die ihr ihre jeweilige Sicht auf die Welt und die Politik geben. Da wird dann über das Privileg der Engländer gesprochen, den „Wilden“ Zivilisation zu bringen, da wird Bella eine Sichtweise eröffnet, die ihr „God“ nie offenbart hat… weil er sie einfach naiv für sich behalten wollte.

Es geht in „Poor Things“ natürlich auch viel um Sex, interessanterweise ist das aber – im Gegensatz zum Film – für Gray nicht im Vordergrund. Deswegen ist die Paris-Passage, in der Bella zur Prostituierten wird, im Buch sehr kurz. Und wenigstens wird im Buch auch mal das Thema Verhütung und sexuell übertragbare Krankheiten angesprochen. Im Bordell gibt es nämlich einen schmierigen Arzt, der die Frauen untersucht, woraufhin sich Bella weigert und sagt: Es sollten sich doch lieber vorher die Männer überprüfen lassen! Das sind jetzt natürlich Dinge, die man in einem Roman, der im späten 19. Jahrhundert spielt, nicht einmal zwingend hätte erwähnen müssen, aber da hier auch sehr viel Mediziner-Kritik eine Rolle spielt (weil es von einem Arzt geschrieben wurde), taucht es auf – wenn auch meist nur in einer Nebenrolle. Aber wie gesagt, selbst der Sex an sich spielt nur eine Nebenrolle (auch wenn Bella sehr fixiert darauf ist, die Handlung des Romans ist es nicht). Da hat sich Yorgos Lanthimos dann also ein bisschen sehr verführen lassen.

Gray ist die intellektuelle Emanzipation von Bella Baxter tatsächlich wichtiger. Da macht die Begegnung mit den beiden Reisenden auf dem Schiff und die Offenbarung der politischen Welt dann mehr Sinn, wenn Bella das erste Mal großes Leid und Elend sieht (im Film auch nur eine eher kurze Passage).

Auch das große Finale, wenn Bellas ursprüngliche Identität zutage kommt und wie das alles aufgelöst wird, welche Ziele Bella verfolgen möchte und wie sie damit dann wirklich ihre eigene Frau steht, sind bei Alasdair Gray sehr viel besser in Szene gesetzt als bei Lanthimos.

Dazu kommt, dass „Poor Things“ ein sehr abwechslungsreich geschriebener Roman ist: Erst sind es die Memoiren von McCandless (wodurch auch seine Figur etwas mehr Hand und Fuss bekommt). Dann ist es ein langer, ausführlicher Brief von Wedderburn, der seinen Abstieg in den Wahnsinn bestens beschreibt und anschließend haben wir die Briefe von Bella selbst, die wie eine Art Tagebuch fungieren, und sie uns somit ihren Werdegang von sich aus erzählen kann. So sehr ich „Poor Things“ als Film auch mag, aber jetzt muss ich wirklich sagen, das Buch ist doch viel feinfühliger.

Wenn ihr also eure Probleme mit dem Film hattet (oder auch wenn ihr ihn mochtet), dann empfehle ich euch wirklich dringend mal das Buch in die Hand zu nehmen. Es ist da doch immer wieder spannend zu sehen, wie jemand so ein Buch „liest“ und adaptiert.

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