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Random Sunday #76: Melmoth

10. April 2022

Um Sarah Perry schleiche ich auch schon seit einiger Zeit herum. Gerade ihr „The Essex Serpent“ hatte es mir angetan, aber irgendwie konnte ich mich nie so ganz dazu bewegen, das Buch zu kaufen. Jetzt haben Perry und ich aber doch noch zusammengefunden, zwar nicht durch ihr zweites Buch, sondern vielmehr durch den Nachfolger dazu mit dem verheißungsschwangeren Namen „MELMOTH“…

Helen Franklin lebt als Übersetzerin von Bedienungsanleitungen in Prag. Sie hat sich aufgrund einer Tragödie selbst ins Exil begeben und bestraft sich für das Geschehene selbst. Warum sie das tut, wird für uns Leser erstmal nicht deutlich. In Prag hat sie nur wenige Freunde, darunter aber das Pärchen Karel und Thea. Eines Tages gibt ihr ein völlig fertiger Karel ein altes Manuskript und erzählt ihr, dass er sich verfolgt fühlt… verfolgt von einer in schwarz gekleideten Frau, die schon seit unzähligen Jahrhunderten die stumme Zeugin der Schrecken der Menschen ist. Helen, die nicht an das Übernatürliche glaubt, liest Karels Manuskript, eine Art Lebensbericht eines Mannes namens Josef Hoffmann. Bald folgen alte Briefe und Tagebücher, die durch die Jahrhunderte springen und immer wieder Zeugnis vom Erscheinen der Frau in Schwarz ablegen… und schon bald fühlt sich auch Helen verfolgt.

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Sarah Perrys „Melmoth“ ist der erste Roman von meiner „22 Bücher für 2022“-Liste und ich hätte nicht besser anfangen können. Meine Güte, hat mich dieses Buch doch umgehauen. Ich hatte einen leichten Schauer-Roman erwartet, aber was Perry hier abliefert, ist so viel mehr als das.

Das Ganze basiert sehr lose auf dem Roman „Melmoth the Wanderer“ von Charles Maturin aus dem Jahr 1820, in dem ein wissensdurstiger Student einen Pakt mit dem Teufel eingeht, um 150 Jahre länger leben zu können. Damit wird schon deutlich, dass Perry eigentlich nur den Namen übernommen hat, aber daraus ihre ganz eigene Mythologie schneidert… und die führt uns eben zu den schrecklichsten Ereignissen von Menschen und der Menschheitsgeschichte. So kehren wir durch das Manuskript von Hoffmann zurück in den Holocaust und müssen die schrecklichen Taten miterleben, zu denen sich Hoffmann einst hat hinreißen lassen… und wegen denen Melmoth auf ihn aufmerksam wurde. Auch das Völkermord an den Armeniern zwischen 1915 und 1916 wird durch Briefe wiedergegeben… und Melmoth somit wieder einmal zur stummen Zeugin und Richterin über die Menschheit. Aber Melmoth kümmert sich auch um die „vermeintlich kleineren“ Übeltaten, was dann auch eine Helen Franklin auf den Plan ruft.

Was „Melmoth“ als Roman aber gerade auch so lesenswert macht, ist nicht nur diese mysteriöse und unheimliche Figur der Melmoth oder die von ihrem eigenen Gewissen geplagte Helen Franklin, sondern die Art und Weise, wie Sarah Parry uns ein Sammelsurium aus Briefen, persönlichen Berichten und Tagebüchern serviert. Dabei springt sie dann auch ziemlich gekonnt sprachlich durch die Zeiten. Es gibt einen Brief aus dem späten 19. Jahrhundert, der dementsprechend auch geschrieben ist.

Überhaupt hat Parry eine faszinierende Schreibe, die sich anfühlt, als würde man eine klassische „gothic novel“ von anno dazumal lesen und nicht einen Roman, der erst 2019 veröffentlicht wurde. Wie sie allein Helens Gänge durch Prag beschreibt, hat so eine ganz eigene Melodie, beschreibt den Zauber dieser Stadt, aber auch die Schatten und Schauer, die möglicherweise hinter der nächsten Ecke schon lauern könnten. Ich musste dabei immer unweigerlich an Gustav Meyrings „Der Golem“ denken, den ich ja erst vor einiger Zeit gelesen habe, der aber auch in Prag spielt und ja auch so ein alter Schauerroman ist. Dieses Gefühl fängt Parry hier mit einer unglaublichen Leichtigkeit ein, springt dabei literarisch gekonnt durch verschiedene Formen und bringt uns als Leser auch noch mit teilweise direkter Ansprache in die Geschichte. Das gibt dem Ganzen noch einmal eine besondere Note und wird am Ende des Romans auf ebenso clevere wie erschreckende Art und Weise aufgelöst.

„Melmoth“ von Sarah Parry ist wirklich ein Roman, den ich nur wärmstens empfehlen kann. Fesselnd ohne Ende und einfach spannend geschrieben. Jetzt bin ich dann auch bereit für „The Essex Serpent“.

7 Kommentare leave one →
  1. 10. April 2022 12:36

    Melmoth möchte ich auch unbedingt noch lesen. Ich mochte Essex Serpent schon sehr. Danke für die Erinnerung, das muss jetzt echt mal auf den SUB wandern 😉

    • donpozuelo permalink*
      10. April 2022 21:05

      Essex Serpent werde ich mir auf jeden Fall auch noch holen.

      Und freut mich, dass ich endlich auch mal zu deinem SUB was zusteuern konnte. Muss mich ja mal für deine ganzen Tipps revanchieren können 😀

      • 2. Mai 2022 21:42

        Melmoth bereits gekauft und gestern abend fertig gelesen, wird dann nächsten Monat rezensiert. Danke fürs revanchieren 😉

        • donpozuelo permalink*
          3. Mai 2022 08:47

          Gerne, gerne. 😁 Essex Serpent muss ich mir jetzt auch schnell mal zu Gemüte führen… der Trailer zu der Miniserie sah ja ziemlich gut aus

  2. 23. April 2022 16:07

    Uh spannend! The Essex Serpent steht ja wiederum auf meiner Liste der 22 für 22, aber das hier klingt nach einem guten Halloween Buch. (Oder?)

    • donpozuelo permalink*
      24. April 2022 17:51

      Auf jeden Fall ein gutes Halloween Buch… und ja, „The Essex Serpent“ landet wahrscheinlich auf meiner 23 für 23 Liste 😀

Trackbacks

  1. Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Melmoth“ von Sarah Perry – Miss Booleana

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