Bleib weg, sonst Finger ab!
Martin McDonagh lässt sich Zeit… und das ist auch gut so. Der irische Theater- und Filmregisseur begann seine Filmkarriere 2008 mit „Brügge sehen… und sterben“, der schon absolut grandios war. Danach kam vier Jahre später „Seven Psychopaths“, den ich auch sehr mochte – und der zeigte, das McDonagh ein Virtuose des schwarzen Humors und der skurrilen Charaktere ist. Sein „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ bescherte Frances McDormand und Sam Rockwell einen Oscar und wurde gefeiert. Was uns jetzt zu „THE BANSHEES OF INISHERIN“ bringt. Ein Film, der mich skeptisch stimmte, weil der Trailer irgendwie merkwürdig war… das Problem ist aber auch, dass man diesen Film nicht über einen Trailer promoten kann. Dafür ist das ganze Szenario doch ein bisschen zu absurd, aber es gerade diese Absurdität, die McDonagh gekonnt zelebriert und es wie kein anderer schafft, aus kleinen Nichtigkeiten einen Film zu machen, der einen so zum Lachen und so zum Weinen bringt.
1923: Auf der kleinen irischen Insel Inisherin bekommt man nicht viel mit vom Bürgerkrieg, man hört hier und da mal eine Explosion, ein paar Nachrichten kommen durch, ansonsten geht das Leben auf der beschaulichen Insel einfach gemütlich seinen Gang. Bis zu dem einen Tag, an dem der Musiker Colm (Brendan Gleeson) seinem besten Freund Padraic (Colin Farrell) die Freundschaft kündigt. Padraic ist verwirrt, weil er nicht weiß, was er getan hat. Auch seine Schwester Siobhán (Kerry Condon) kann nicht zwischen den Beiden vermitteln. Irgendwann wird Colm das ständige Nachfragen zu bunt… also droht er Padraic: „Für jedes Mal, dass du mich ansprichst, schneide ich mir einen Finger ab.“
„The Banshees of Inisherin“ fühlte sich für mich beim Gucken ein bisschen wie ein Film von Jim Jarmusch an… und zwar von der Art und Weise her, dass – ähnlich wie zum Beispiel bei „Paterson“ eigentlich gar nicht so viel passiert. Das Ganze wird in seiner Alltagslethargie dann aber durch McDonaghs ausgezeichnete Beobachtungsgabe und seinen Gespür für perfekt gesetzten schwarzen Humor garniert und so zu einem frühen Highlight in 2023.
Als Zuschauer wird man einfach erstmal Teil von Padraics Alltag: Kühe zum Feld bringen, Zwergeselin Jenny streicheln (und heimlich ins Haus lassen), Abendessen mit Schwester Siobhán, ein Pint im Pub. Gewöhnlich mit Colm, später dann aber mit Dominic (Barry Keoghan), einem Jungen von der Insel. Der plötzliche Freundschaftsabbruch kommt für uns unerwartet und wirkt komplett absurd. Wie auch Padraic fragen wir uns, woher kommt das? Und was unter einem anderen Autoren wirklich eine ziemlich öde Geschichte werden würde, wird bei McDonagh zu einer spannenden Detektiv-Geschichte und zu einer Reise in die unterschiedlichen Schicksale der Menschen von Inisherin.
Detektiv-Geschichte daher, weil Padraic wirklich nach Indizien sucht, warum Colm ihm die kalte Schulter weist. Da muss ein wenig ermittelt werden, da muss im Pub nachgefragt werden, da muss gegrübelt werden. Hier entfaltet sich dann aber das, was „The Banshees of Inisherin“ wirklich ausmacht: der Blick ins Innere dieser Figuren. Padraic, der Angst hat, die Leute würden ihn für dumm halten. Colm, der seinem Leben irgendwie noch einen Sinn geben will. Shiobán, die eigentlich zu intelligent ist, um auf dieser Insel zu versauern. Dominic, der der Brutalität des Vaters entkommen will… McDonagh präsentiert uns spannende Charaktere, die auf den ersten Blick sehr einfach wirken, aber hinter denen sich eigene Geschichten verbergen, die der Film auch aufgreift und analysiert.
Verbunden damit ist auch ein Feingefühl für die Schmerzen, für die Sorgen und Ängste dieser Figuren, wodurch einem manchmal auch das Lachen im Halse stecken bleiben kann. Aber McDonagh kriegt es hin. Denn auf dem Papier klingt „The Banshees of Inisherin“ wie ein Film, der ziemlich schnell ziemlich langweilig sein könnte… aber ich hätte kein Problem damit gehabt, noch länger auf dieser Insel in diesem Dorf zu bleiben.
Was McDonagh nämlich schreibt, wird von seinen Darstellern grandios umgesetzt. Brendan Gleeson und Colin Farrell kennen sich ja schon aus „Brügge“-Zeiten und haben eine starke Chemie. Aber es ist gerade Farrell, der diesen Film wirklich dominiert. Klar, es wird aus seiner Sicht erzählt, aber sein Schauspiel ist echt sehr subtil und fein. Sein Padraic wirkt so naiv wie ein kleines Kind, aber ohne dass Farrell es jetzt übertreiben würde. Dadurch versteht man dann auch direkt seine Art zu reden und vor allem seine Beziehung zu Kerry Condons Shiobán, die Mutterersatz für ihn sein und dabei auch auf ihr eigenes Leben achten muss. Kerry Condon ist großartig… und auch Barry Keoghan spielt wahnsinnig gut.
Dieser Film ist einfach wirklich schön, der schwarze Humor sitzt, die Darsteller sind so verdammt gut, der Film sieht dazu noch einfach nur schön aus – es lädt direkt zum Schwelgen ein und ist wie eine kleine Stadtflucht für knapp zwei Stunden in ein einfacheres Leben.
Wertung: 9 von 10 Punkten (einfach nur toll!)
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Schöner Film mit tollen Schauspielern und eindrucksvoller Kulisse! Allerdings habe ich bis zum Schluß die Motivation von Colm nicht ganz nachvollziehen können.
Ja, das stimmt. Colm ist da wirklich etwas schwierig zu fassen, wenn es um seine ganze Finger-Debatte geht. Wahrscheinlich soll es einfach zeigen, wie sehr er wirklich seine Ruhe will. Wie sehr er versuchen möchte, für sich zu sein. Allerdings macht es bei ihm als Musiker wirklich wenig Sinn, sich dann dem zu berauben, womit er letztendlich Musik machen kann. Etwas verwirrend… darüber sollte man dann vielleicht lieber nicht zu lange nachdenken 😅😅