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Random Sunday #95: Die Anomalie

13. November 2022

2022 ist für mich ein bisschen das Jahr der Franzosen… zumindest, wenn ich auf meine Bücherliste gucke. Da haben es tatsächlich gleich drei französische Autoren drauf geschafft. Mit „Eroberung“ von Laurent Binet hatte ich ja schon ein kleines Highlight, in dem die Geschichte einfach mal umgeschrieben wurde… ein Glücksgriff, da ich den Autoren vorher überhaupt nicht kannte. Heute bin ich nun hier, um euch von meinem nächsten französischen Glücksgriff zu berichten… denn „DIE ANOMALIE“ von Hervé Le Tellier ist wirklich verdammt empfehlenswert.

Im März 2021 steigen die unterschiedlichsten Menschen in Paris in eine Boeing 787, um nach New York zu fliegen. Mit dabei ist unter anderem der Auftragskiller Blake, der nigerianische Pop-Sänger Slimboy, der Architekt André und seine viel jüngere Liebhaberin Lucie oder auch der Übersetzer und Schriftsteller Victor Miesel. Auf dem Weg nach New York gerät die Maschine in einen ungeheuren Sturm, im Flieger glauben schon alle, sie müssten sterben… doch der Pilot schafft es durch das Gewitter und landet sicher in New York. Alles ist ganz normal – bis zu dem Zeitpunkt, wo die gleiche Boeing mit den exakt gleichen Menschen im Juni 2021 noch einmal in New York landen möchte. Das Flugzeug wird umgeleitet und Wissenschaftler versuchen, irgendwie diese Anomalie zu klären.

Wie bereits erwähnt, kannte ich Hervé Le Tellier vorher nicht, fand aber die Prämisse von „Die Anomalie“ furchtbar spannend. Das klang schon vom Buchrücken wie ein Mix aus „Akte X“ und „Fringe“… war also irgendwie Pflicht, das Ganze zu lesen. Das Spannende an Le Tellier ist, dass er nicht „nur“ Autor ist, sondern auch studierter Mathematiker und Sprachwissenschaftler – und diese beiden Eigenschaften verknüpft er ziemlich gekonnt in „Die Anomalie“.

Das Mathematische kommt durch die Wissenschaftler in seinem Buch. Mehrere von denen werden nach der Landung der Juni-Maschine angeheuert, um irgendwie Klarheit zu schaffen. Dabei geht Le Tellier dann wirklich sehr wissenschaftlich vor – ohne jetzt aber zu überfordern. Aber die Theorien, die da aufgeworfen werden, sind spannend erzählt und gut erklärt. Eine, nämlich die Simulationshypothese, wird zum Hauptpunkt für die Geschichte. Die Frage, ob wir alle in einer Art Matrix leben, dass all unsere Leben nur eine Simulation sind, wird ausgiebig diskutiert – das ist jetzt nicht wirklich „Matrix“, sondern ein wenig geerdeter. Außerirdische werden zwar auch in Betracht gezogen, aber Le Tellier versucht, all seine Ideen im Wissenschaftlichen zu verankern. Das macht „Die Anomalie“ dann schon mal zu einem aufregenden Wissenschaftsthriller mit Science-Fiction-Anklängen.

Darauf liegt aber längst nicht der Hauptfokus… der ist nämlich den verschiedenen Charakteren vorbehalten. Aufgeteilt in 3 Teile und sehr viele kurze Kapitel schildert Le Tellier die Leben der unterschiedlichen Passagiere vor und nach der Anomalie. Da kommt dann auch der Sprachwissenschaftler in ihm durch, der mit Sprache spielt, um die einzelnen Charaktere zu verdeutlichen. Der Schriftsteller, der ein letztes, sehr verkopftes Buch schreibt, bekommt einen anderen Stil, als der verzweifelte Architekt, der sich an eine Beziehung klammert, die nicht mehr zu halten ist. Das kleine Mädchen, das sich um seine Unke sorgt, wird zu einer ebenso spannende Figur wie der Pop-Sänger aus Afrika, der in seinem Land Angst davor hat, sich zu outen und und und…

Am Ende ist „Die Anomalie“ eine Ansammlung verschiedener Schicksale mit unterschiedlichen Ansätzen. Da ist mal brutal, mal lustig, mal tragisch, mal traurig, mal irgendwie einfach schön… und all das wird dann durch die Anomalie verändert.

Wie geht man damit um, dass es einen plötzlich zweimal gibt? Wer ist jetzt das Original, wer die „Kopie“? Nachdem man das Vorher kennt, wird das Nachher umso spannender – zumal die Juni-Passagiere gut drei Monate verpasst haben. All das spinnt Le Tellier zu einer wirklich gut geschriebenen und facettenreichen Geschichte zusammen, die halt von allem etwas hat, aber dabei nie überladen wirkt.

Le Tellier landet auf jeden Fall auf meiner Liste der zu erforschenden Autoren… denn „Die Anomalie“ habe ich in nur kürzester Zeit inhaliert und jede Seite genossen.

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