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Der etwas andere Sandmann

17. August 2022

Neil Gaiman ist ein toller Autor, ein sehr kreativer Mensch, der uns schon das ein oder andere Mal in verrückte, fantastische Welten eingeladen hat. Die meisten Verfilmungen seiner Werke spiegeln das auch gut wider. „Der Sternenwanderer“ zum Beispiel ist für mich nach wie vor ein sehr unterschätzter Fantasy-Film, über den viel zu wenig gesprochen wird. „Good Omens“ war ebenfalls eine unterhaltsame Mini-Serie und selbst „American Gods“ mochte ich zumindest in Staffel 1 (aber nachdem dann so viele Leute ausstiegen, verlor ich die Lust, weiterzuschauen). Jetzt hat sich Netflix den magnus opus von Neil Gaiman gekrallt: „THE SANDMAN“. Eine Comic-Reihe, die es auf 75 Ausgaben schaffte und sehr viel Kritiker- und Fan-Lob einsteckte.

Der Herr der Träume, Morpheus, Herrscher über das Dreaming (dem Land der Träume) oder einfach nur Dream (Tom Sturridge) wird von dem Okkultisten Rodrick Burgess (Charles Dance) aus Versehen eingefangen (denn eigentlich will er den Tod zu sich holen). Burgess lässt Dream über 100 Jahre gefangenhalten, bevor der endlich entkommen kann. Als er wieder im Dreaming ankommt, erfährt er durch Lucienne (Vivienne Acheampong), Bibliothekarin und Dreams rechte Hand, dass sein Reich von so ziemlich allen Träumen verlassen wurde… um das wieder aufzubauen, muss Dream aber erstmal die Insignien seiner Macht zurückbekommen – seinen Helm, seinen magischen Rubin und natürlich seinen Sand.

Die „Sandman“-Comics haben eine Besonderheit… die Reihe ist zwar an sich eine in sich geschlossene und gradlinige Story, aber das Ganze wird immer wieder durch Kurzgeschichten unterbrochen, in denen Dream direkt keine so große Rolle spielt. Dadurch verbreitet Gaiman gekonnt seine Story, erzählt uns mehr von den Auswirkungen unserer Träume, von den anderen Wesen, die es rund um Dream selbst noch so existieren. Der Sandman an sich bleibt zwar immer im Mittelpunkt, Gaiman schweift aber häufig auf clevere Weise ab.

Die Serie von Netflix, das muss man ihr mal gleich zugutehalten, ist verdammt comic-getreu. Also teilweise werden Comic-Panels detail-getreu einfach filmisch umgesetzt. Es tauchen auch alle möglichen Figuren auf, die Comic-Fans bereits kennen. Die Geschichte der ersten Staffel orientiert sich zudem sehr an den ersten beiden Bänden. Somit haben wir von Folge 1 bis 5 Dreams Gefangennahme, seine Flucht und das Zusammensammeln seiner ganzen Sachen, was Band 1 der Comics entspricht. Danach kommt dann die Rose-Walker-Story mit einer tollen Kyo Ra in der Rolle von Rose und das Ganze wird noch ein wenig garniert mit dem Corinthian (Boyd Holbrook), einem Alptraum, der in der Welt der Sterblichen sein Unheil anrichtet.  

Auf dem Papier funktionierte all das wirklich gut und es war wirklich erstaunlich zu sehen, mit was für einer Detailverliebtheit die Macher hinter der Kamera Gaimans Welt zum Leben erweckt haben… und dennoch muss ich gestehen, hat „The Sandman“ für mich nicht so richtig funktioniert. Tom Sturridge ist eine tolle Wahl als Sandman, aber irgendwie bin ich mit ihm nicht so ganz warm geworden. Mir persönlich hat er als tragende Figur in dieser Serie zu wenig Tragkraft gehabt. Er wirkt in der Serie wie die Nebenfigur in seiner eigenen Show… weil der Fokus sich eben so häufig auf viele andere Charaktere legt.

Gleichzeitig muss ich auch sagen, haben sich die ersten Folgen sehr gehetzt angefühlt… und auch das ist ja irgendwo paradox, weil die Serie nicht viel anders macht als Gaiman in seinen Comics. Das Beschaffen der Traum-Mittel geht da auch relativ fix, aber in der Serie war mir das zu schnell zu viel. Von mir aus hätte man gerne die komplette erste Staffel nur damit verbringen können, um so dann auch mit etwas mehr Ruhe diese ganze Welt an sich aufzubauen. So geht mir eine Gwendoline Christie als Lucifer zum Beispiel zu sehr unter. Ich fand sie toll, aber so richtig entfalten konnte sie sich in dieser Rolle nicht. Auch die ganze Johanna Constantine (Jenna Coleman) Geschichte wirkt viel zu gehetzt… hier hätte man wirklich etwas mehr Ruhe gebraucht, um die Figur besser auszubauen – denn ganz ehrlich, sie ging mir auch ein bisschen auf den Keks (und das obwohl ich gerne mehr von ihr gesehen hätte). Man gibt ihr zwar die gleiche traurige Geschichte wie in den Comics, aber Coleman spielt sie so sehr überdreht, was mich einfach etwas angestrengt hat. Und von wem ich definitiv gerne noch mehr sehen will, ist Mason Alexander Park als Desire. Diese Performance war einfach nur stark.

Ich finde, dass die Serie erst mit der Rose-Walker-Story ein bisschen Ruhe reinbringt und mir einfach mal die Zeit lässt, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Da fand ich „Sandman“ dann auch viel spannender – zumal hier ein Boyd Holbrook auch einfach noch mal zeigen darf, dass er der heimliche Star dieser Serie ist (zumindest für mich). Er spielt seinen Corinthian mit so einer Hingabe, dass ich mir fast ein Spinoff nur zu ihm wünschen würde.

Bei der Vielzahl von Charakteren, die „The Sandman“ allein in Staffel 1 aufbaut, hätte ich mir echt mehr Zeit gewünscht – und vielleicht auch einfach mal eine kleine Abweichung zu den Comics. Etwas mehr Charakter-Tiefgang, ein bisschen mehr Entschleunigung hätte echt mehr Wumms gehabt. Sieht man ja zum Beispiel an den zwei stärksten Episoden: Folge 5 spielt ausschließlich in einem Diner und bringt menschliche Schicksale gegeneinander auf, während Folge 6 uns nicht nur den Tod (Kirby Howell-Baptiste) bringt, sondern auch die interessante Geschichte rund um Hob Gadling (Ferdinand Kingsley). Da entfalten sich die wahren Stärken dieser Serie…

Insgesamt bin ich jetzt so mittelprächtig von der Serie beeindruckt. Für mich hat sich die Comic-Story einfach nicht so gut auf die Serie übertragen…

Wertung: 6 von 10 Punkten (etwas mehr Fokus auf eine Sache hätte der Serie gut getan)

3 Kommentare leave one →
  1. 8. Januar 2023 12:39

    Jetzt wo ich auch irgendwann endlich mal die Serie geschaut und meine Besprechung dazu abgetippt habe, kann ich das nur so unterschreiben. In meinem Fall finde ich aber eher die ganze Serie etwas zu wenig düster. Das Fangirling und die Freude über die comicgetreue Umsetzung ist aber bei mir so groß, dass ich offenbar über einiges hinwegsehe, was mich wahrscheinlich sehr langweilen würde, wenn ich die Comics nicht kennen würde.

    • donpozuelo permalink*
      8. Januar 2023 18:32

      Ja, es ist echt nicht düster genug. Und ja, ohne das Comic-Wissen hätte ich es auch nicht durchgehalten… die muss ich auch unbedingt mal wieder lesen.

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