Filmreise Etappe #16: Das versteckte Monster
Es ist lange her, dass ich mich der Filmreise gewidmet habe, aber ein gruseliger Katzenfilm und Büchervorschauen kamen irgendwie dazwischen und pausierten meine kleine Aufgabe, diese Challenge durchzuführen. Die will ich natürlich im neuen Jahr auch weiterverfolgen, weswegen ich jetzt direkt weitermache. Im Moment bin ich in der Zeitreise in den 40er Jahren. Nach dem italienischen Neo-Realismus wird es nun düsterer. Für den film-noir-Teil dieser Reise habe ich mich Orson Welles gewandt und mir „Die Spur des Fremden“ vorgenommen… ein Film, den Welles selbst angeblich als seinen schlechtesten überhaupt bezeichnet.
Mr. Wilson (Edward G. Robinson) jagt für die USA flüchtige Kriegsverbrecher. Besonders viel liegt ihm daran, den Nazi-Wissenschaftler Franz Kindler zu schnappen, der scheinbar spurlos verschwunden ist. Um Kindler zu finden, lässt Wilson den einstigen Vertrauten Kindlers, Konrad Meinike (Konstantin Shayne) frei… und der rennt quasi sofort in das kleine, verschlafene Örtchen Harper. Hier nimmt Meinike Kontakt mit dem Lehrer Charles Rankin (Orson Welles) auf. Der ist tatsächlich Kindler und tötet Meinike… doch damit ist sein Problem nicht gelöst, denn Wilson taucht ebenfalls in Harper auf und macht Rankin das Leben schwer. Über dessen Verlobte Mary (Loretta Young) versucht er Kindler in die Enge zu jagen.
Fünf Jahre nach seinem Meisterwerk „Citizen Kane“ dreht Welles also seinen ersten film noir… und was soll ich sagen? Der Film ist verdammt spannend. Es ist vielleicht nicht unbedingt der typische film noir. Wir haben jetzt keine femme fatale, wir haben keinen Whiskey trinkenden Detektiv, aber dennoch ist „Die Spur des Fremden“ in der Tradition des film noir. Es sind vor allem die visuellen Stilmittel des noir, die Welles gekonnt einsetzt, um dennoch seinen ganz eigenen Film zu drehen… und gerade deswegen sollte man sich „Die Spur des Fremden“ anschauen.
Es ist die Art von suspense, die Welles hier aufbaut, die alles so spannend macht. Es ist in der Tradition von Hitchcock… weswegen wir als Zuschauer schon sehr früh im Film erfahren, dass der sympathische Lehrer wirklich der grausame Nazi ist. Dieses Wissen macht es umso faszinierender zu sehen, wie er sich windet und lügt, um seine wahre Natur vor seiner Verlobten geheim zu halten. Genau dadurch baut Welles eine Spannung auf, der man sich nicht entziehen kann…
Gleichzeitig hat dieser Film auch etwas Lynch-eskes, es ist fast wie eine „Twin Peaks“-artige Atmosphäre, in die Welles uns hier wirft: das gemütliche kleine Städtchen, der Dame spielende Verkäufer, die Schuljungs, die im Wald herumrennen, die kleine Kirche und ihr schöner Glockenturm, die Familie der jungen Mary – oberflächlich wirkt hier alles friedlich, glücklich und harmonisch. Der Kontrast wirkt perfekt dazu, dass unter dieser Oberfläche ein Monster schlummert, das es zu bekämpfen gilt… und das Montröse wird dadurch noch realer gemacht, als das „Die Spur des Fremden“ der erste Spielfilm ist, in dem authentische Aufnahmen aus den KZs der Nazis gezeigt werden.
„Die Spur des Fremden“ ist ein spannender Film, der einfach mal mit der Auflösung der Suche anfängt… und dann damit gekonnt spielt. Dieser Film ist spannend ohne Ende. Wie gesagt, vielleicht nicht das Paradebeispiel für film noir, aber ein schöner Twist für das Genre.
Wertung: 9 von 10 Punkten (Orson Welles beweist sich einmal mehr als großartiger Filmemacher)
Klingt wirklich interessant. Hast mir Appetit gemacht😊
My job is done 😀 Der ist wirklich gut (gibt’s auf Netflix)
Klingt toll, wird direkt vorgemerkt und allerspätestens im Noirvember geschaut 🙂
Oh ja… da passt der gut rein 👍
Oh man, es ist so Ewigkeiten her, dass ich ihn gesehen habe. Ich schätze Welles und Filme mit Edward G. Robinson habe ich immer gesehen, sobald mir einer unter die Finger kam.
Als Film Noir würde ich diesen aber nicht bezeichnen. Rein thematisch passt er nicht wirklich in dieses Genre, finde ich.
Ich würde ihn auch nicht zwingend als Noir bezeichnen, er wird aber als Vertreter angesehen… 🤔
Ja seltsam.