Frau liest Buch
Tom Ford war mal Designer, der sich dann irgendwann dazu entschied, Filmemacher zu werden. Interessant, sind es doch normalerweise immer die Models, die ins Schauspielfach wechseln, aber selten so ein Designer. Und dabei möchte man ja davon ausgehen, dass die in gewisser Weise prädestinierter dafür sind, Dinge in Szene zu setzen. Nun, das wohl auf jeden Fall, aber schöne Bilder machen ja noch lange keinen schönen Film (wie ich mir gerade erst schmerzhaft mit „Passengers“ vor Augen führen musste). Doch Tom Ford scheint es zu können, immerhin wurde sein „A Single Man“ ja sehr begeistert aufgenommen und auch sein neuer Film „Nocturnal Animals“ wurde überall nur lobend gepriesen. Da ich allerdings „A Single Man“ nicht kannte, war mir nicht so ganz klar, was ich von „Nocturnal Animals“ erwarten sollte – irgendwas, das ziemlich artsy-fartsy ist, war zumindest einer meiner Gedanken. Was zum Glück nicht wirklich der Fall war.
Basierend auf dem Roman „Tony and Susan“ von Austin Wright (den ich nach dem Film sehr gerne lesen will) erzählt „Nocturnal Animals“ die Geschichte einer Frau, die ein Buch liest… Susan (Amy Adams) erhält von ihrem Ex-Mann Edward (Jake Gyllenhaal) ein Manuskript zu seinem Roman, den er ihr gewidmet hat. Darin erzählt er die Geschichte von Tony (ebenfalls Gyllenhaal), dessen Frau und Tochter von einer Gruppe Rednecks (darunter ein großartig fieser Aaron Taylor-Johnson) entführt, vergewaltigt und getötet werden und Tony anschließend gemeinsam mit dem Polizist Bobby (Michael Shannon) versucht, die Typen zu finden. Während Susan das alles liest, überdenkt sie ihre eigene Beziehung zu dem Mann (Armie Hammer), mit dem sie damals ihren Mann betrogen hat.
„Nocturnal Animals“ ist wirklich nicht das, was ich erwartet hatte. Ja, artsy-fartsy sind vielleicht die Bilder, aber sie sind auch schön. Gerade Susans Welt ist von der Kunst, mit der sie arbeitet, durchwebt. Edwards Roman ist von der brutalen Schönheit der amerikanischen Südstaaten-Landschaft geprägt. Man könnte „Nocturnal Animals“ mit seinen vielen Himmelsaufnahmen fast schon den perfekten Instagram-Film nennen. Nur da habe ich noch mehr Wolken und Sonnenaufgänge gesehen.
Aber wie schon erwähnt, nur artsy-fartsy ist der Film dann auch wieder nicht, steckt im Kern doch eigentlich ein eher unerwartete (für mich zumindest) rape-and-revenge-Geschichte. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet und wusste auch eine ganze Weile nicht, was ich davon halten soll. Denn die Geschichte an sich ist nicht unbedingt aufregend. Also aufregend ist sie schon, schließlich schreckt Ford vor Gewalt nicht zurück. Aber ganz nüchtern betrachtet ist es eine ganz normale Rache-Story, die man leider auch schon besser gesehen hat. Immerhin wird sie durch Michael Shannon und einen wirklich großartig ekligen Aaron Taylor-Johnson enorm aufgewertet.
„Nocturnal Animals“ besteht ja aber zum Glück nicht nur aus der Rache-Geschichte, sondern erzählt im Nebenstrang noch Susans Geschichte. Die dann noch einmal unterteilt ist in Gegenwart (sie liest das Buch) und Vergangenheit (sie erinnert sich an die Anfänge ihrer Beziehung zu Edward und wie alles schief ging). Das Ganze wird dann mit der Buchgeschichte vermischt und so entfaltet sich „Nocturnal Animals“ dann doch zu einem ungemein sehenswerten Film, der gekonnt die verschiedenen Ebenen mit einander verbindet. Hier zeigt sich dann doch auch ein wenig, dass Tom Ford ein Designer und Künstler ist, denn wie er durch Schnitte und Bildaufbau die Gefühlsebenen des Romans auf Susan überträgt, ist schon verdammt großartig anzuschauen.
Dazu haut er uns dann am Ende noch so richtig die Keule vor den Kopf, wenn uns (und auch Susan) klar wird, warum Edward a) den Roman geschrieben und b) ihn seiner Ex-Frau geschickt hat. Je mehr von Susans Geschichte erfährt, desto krasser wird dann auch die rape-and-revenge-Story, die auf einmal eine ganz andere Perspektive zu haben scheint. Am Ende des Films wirkt das Gesehene ungemein bedrückend, deprimierend und hoffnungslos. Besonders Susans Situation erweist sich dann als fast schon ausweglos, betrachtet man im Nachhinein alles, was man uns über sie erzählt hat.
Amy Adams ist einfach nur umwerfend gut… und das obwohl sie die meiste Zeit eigentlich nur ein Buch liest. Aber insgesamt fand ich ihre Performance hier noch sehr viel stärker als beispielsweise in „Arrival“, der ja für mich mehr durch die Geschichte getragen wurde. In „Nocturnal Animals“ braucht man die guten Darsteller, um die Stimmungen und Emotionen richtig rüberzubringen. Weswegen ein Jake Gyllenhaal auch einmal mehr großartig ist.
„Nocturnal Animals“ ist auf jeden Fall ein Film, den man ruhig ein zweites Mal gucken kann, ich glaube fast, dass der dann noch besser wirkt – gerade wenn man weiß, auf was man genau achten kann.
Wertung: 8 von 10 Punkten (der künstlerisch wertvolle Rachefilm, der über bloße Gewalt als Mittel zur Rache hinausgeht)
Das Buch selbst fand ich mega spannend inszeniert – dagegen fiel die Rahmenhandlung Frau liest Buch leider deutlich ab.
Und du schreibst nichts über das Intro?
Hahaha… ich habe lange überlegt, was über das Intro zu schreiben… aber mich letztendlich dagegen entschieden, um nicht zu sehr vom eigentlichen Film abzulenken. Es ist auf jeden Fall eines der denkwürdigsten Intros der letzten Jahre 😀
Das Buch will ich auch unbedingt noch lesen.
Wobei mich das Ende immer noch ein wenig ratlos zurück lässt. Es gibt irgendwie mehrere Möglichkeiten, warum das geschieht, was dort geschieht (ohne hier jetzt zu spoilern). Ich werde den Film wohl noch mal sehen müssen.
Auf jeden Fall. Ich sag ja, ich glaube auch, dass man diesen Film mehr als einmal gucken muss, um alles verarbeiten zu können. Nur ist es halt auch ein unangenehmer Film, den man vielleicht auch nicht unbedingt so oft sehen will. Ich werde mir mal das Buch dazu besorgen.
Das Buch nimmt leider etwas von der Faszination des Schlusses, da es im Gegensatz zum Film nicht vieldeutig gestaltet ist.
Okay… da war dann wohl jemand zu sehr bemüht, alles zu erklären, oder wie? Aber egal…
Ich nehme an, dass der Autor etnweder nicht daran gedacht hat, ein so mehrdeutiges Ende zu schreiben, oder ihm sein bestimmtes Ende einfach wichtiger war.
Stephen King z.B. hat in einem Interview gesagt, dass er froh gewesen wäre, wenn ihm das Ende zu The Mist (der Nebel) in seiner Kurzgeschichte selbst eingefallen wäre. Man kann nicht immer an alles denken.
Stimmt auch wieder… das Ende zu The Mist ist aber auch absolut fies.
Ich warte dann auf das Feedback zum Buch. 😉
Gerne doch. Es wird nur vielleicht ein wenig dauern.
Nicht schlimm, ich kann warten.
Das war vielleicht die erste wirklich irgendwie nachvollziehbar klingende Review, die ich dazu bisher gelesen habe. Die anderen verschleiern immer irgendwie, dass es eine Wende gibt und sind sehr biased, Entweder total pro oder total gegen den Film, ohne zuviel verraten zu wollen und machen es deswegen schwer zu verstehen, warum sie ihn nicht mögen oder eben doch mögen. Jetzt bin ich mir nach deiner Review ziemlich sicher, dass er mich gut gefallen würde (obwohl A Single Man ein guter Film war, aber keiner, den ich jemals freiwillig ein zweites Mal schauen möchte). Dummerweise läuft er in meiner Stadt im Indie-Kino nur noch zu Zeiten, wo man normalerweise arbeiten ist … verdammt…
Danke, das freut mich zu hören. Und ja, das mit dem Laufzeiten ist immer so ein Ding. Da sind wir hier in Berlin ja noch echt gesegnet mit einer großen Auswahl kleinerer Kinos, die durchaus gute Zeiten anzubieten haben.