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Nicht schuldig?

25. September 2015

Amerikanische Gerichtsdramen sind immer irgendwie faszinierend, weil sie mir immer wieder zeigen, dass so ein Anwalt in Amerika einfach nur ein guter Redner sein muss, um seinen Mandanten zu retten. Da werden normale Menschen in eine Jury gesteckt, um sich dann alles brav anzuhören und zu entscheiden. Und ein gewitzter Anwalt kann so das Urteil beeinflussen – in dem er die Jury besetzt, wie es für ihn passt und sie mit Worten bezirzt. Jedes Mal, wenn ich das in einem Film oder einer Serie sehe, denke ich mir, wie krass merkwürdig dieses System doch ist.

Wie merkwürdig und interessant dieses Jury-System sein kann, zeigt uns Sidney Lumet in seinem Kino-Debüt „Die 12 Geschworenen“. Diese 12 Geschworenen sollen nach einer sechstägigen Verhandlung entscheiden, ob ein junger 18-jähriger Puerto-Ricaner seinen Vater umgebracht hat oder nicht. Sollte er es getan haben, droht dem Jungen der Tod – und genau darüber sollen die Geschworenen nun entscheiden, einstimmig. Doch bereits bei der ersten Abstimmung stimmt Geschworener Nummer 8 (Henry Fonda) als einziger für nicht schuldig. Was eine hitzige Debatte unter den Geschworenen auslöst…

Ich war’s… ich habe gepupst… sorry.

Irgendwie passt der Originaltitel „12 Angry Men“ wieder einmal viel besser zu diesem Film als die unspektakuläre deutsche Variante „Die 12 Geschworenen“. Das klingt nach nicht besonders viel und schon gar nicht nach etwas, dass man sich angucken sollte. „12 Angry Men“ hat da schon eher etwas… warum sind diese 12 Männer wütend? Was kann da nur passiert sein? Nun, es ist die Tatsache, dass einer dieser Männer für nicht schuldig stimmt, während alle anderen ziemlich überzeugt von der Schuld des jungen Mannes sind.

Und hier sind wir dann wieder bei diesem merkwürdigen Rechtssystem der USA, dass in diesem Film an den Pranger gestellt wird: Da haben wir diese 12 normalen Menschen, die Recht sprechen sollen, die entscheiden sollen, ob jemand stirbt oder nicht. Und alles, woran einige von ihnen denken können, ist: „Wie komme ich hier schnell wieder raus? Ich habe doch Karten für das Spiel heute Abend?“ Da sitzen dann also diese Männer, einige von ihnen mit ganz klaren rassistischen Vorurteilen und die deswegen auch nichts hinterfragen. Nur Henry Fondas Geschworener Nummer 8 ist die Stimme der Vernunft – und auch mutig genug, seine Meinung zu sagen. Schließlich bleibt die Frage: Was wäre, wenn er nichts gesagt hätte?

Da „Die 12 Geschworenen“ ja nur in einem einzigen Zimmer spielt, braucht der Film starke Charaktere… und vor allem unterschiedliche. Der Film fängt dabei gekonnt die verschiedenen Facetten des Ottonormalbürgers ein: Da gibt es den Schweigsamen, den Witzbold, den Aufbrausenden, den Nörgler, den Zustimmer… man könnte ihnen wohl allen Namen wie aus „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ geben, aber das faszinierende ist, dass Lumet ihnen (und dabei den unterschiedlichen Schichten und Ansichten der damaligen Zeit) auch gerecht wird. Der Film zeigt dabei sehr schön die Gruppendynamik dieser Jury und wie diese sich mal hier hin und mal dorthin bewegt.

Was man auch daran merkt, dass man sich schwer tut, hier einen Hauptdarsteller zu nennen – ja, Henry Fonda ist sicherlich der bekannteste Name und durch sein Verhalten auch derjenige, auf den sich der gesamte Fokus konzentriert, aber letztendlich ist „Die 12 Geschworenen“ ein großes Ensemble-Stück, in dem alle Darsteller brillieren und dem Film das gewisse Etwas geben.

Und dieses Etwas ist eine Atmosphäre der Anspannung, die sich allein aus den Charakteren ergibt – wie sie sich bewegen, wie sie sprechen und wie sie miteinander umgehen. „Die 12 Geschworenen“ ist wirklich das perfekte Beispiel, wie ein Kammer-Spiel zu funktionieren hat… und ein bewegendes Plädoyer dafür, alles zu hinterfragen – besonders, wenn es um Leben und Tod geht.

„Die 12 Geschworenen“ wird so nicht nur zu einem packenden Charakter-Drama, sondern auch ein interessantes Detektiv-Spiel der Logik. Statt einem coolen Typen mit Trenchcoat und Hut, sind es zwölf verschwitzte und in einen winzigen Raum eingesperrten Männer, die nach und nach die Puzzle-Teile zusammenfügen. Und am Ende treffen sie ihre Entscheidung – eine, von der man zwar auch nicht weiß, ob sie die Richtige ist, aber wenigstens haben sich diese Männer (dank Fondas Nr. 8) Gedanken gemacht, bevor sie einen Menschen verurteilt haben.

Wertung: 9 von 10 Punkten (gerade nach diesem Film bleibt mir das amerikanische Rechtswesen noch suspekter)

3 Kommentare leave one →
  1. 7. Dezember 2015 22:50

    Gehörte zu meiner Teenager Must See Liste. Habe ich später auch immer wieder gerne gesehen. Ungewöhnlich für die Zeit und sehr beeindruckend. Mag ich.

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