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Mein mysteriöser Onkel Charlie

13. Mai 2013

Seriendarsteller haben es nicht einfach… denn wenn sie mal eine Rolle erwischen, die sich über lange Zeit halten kann, dann wird ihnen diese Rolle auf ewig anhaften. Da gibt’s kein Entkommen. Das wird dann immer „der Typ aus…“ sein. Ob man nun möchte oder nicht, Serien bleiben hängen. Wer sich dennoch außerhalb seiner Serie behaupten möchte, der muss zu einigen Tricks greifen. Aus diesem Grund entstand Ted Foulke. Teds richtiger Name war nämlich zu sehr mit einer bestimmten Serie verbunden, aber Ted hatte ein tolles Drehbuch geschrieben, das unbedingt an den Mann gebracht werden sollte… möglichst ohne den bekannten Namen als Sprungbrett oder als Abschreckung zu benutzen. Allerdings dauerte es einige Zeit, doch letztendlich fand sich jemand für Teds Drehbuch. Und wenn ein südkoreanisches Regie-Ass sich dein Drehbuch für sein Hollywood-Debüt aussucht, dann kannst du auch mit Stolz deinen wahren Namen wieder angeben.

Und trotzdem staunt man nicht schlecht, dass Park Chan-wooks Hollywood-Debüt ausgerechnet auf dem Drehbuch von „Prison Break“-Star Wentworth Miller basiert? Ein Serienstar, der plötzlich Drehbücher schreibt… kaum zu glauben. Doch hinter „Stoker“ versteckt sich ein erstaunlich vertrackter und spannender Plot, der gekonnt mit Thrill, Drama und Gruselelementen arbeitet… perfekt also auch für Park Chan-wook.

India (Mia Wasikowska) sollte eigentlich ihren 18. Geburtstag feiern, doch statt viel Freude herrscht plötzlich Trauer im Hause der Stokers. Ihr Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Gleichzeitig taucht während der Trauerfeier wie aus dem Nichts ihr Onkel Charlie (Matthew Goode) auf. Der mysteriöse Typ, von dem immer nur gesagt wird, dass er viel auf Reisen war, nistet sich bei Familie Stoker ein und bezirzt ganz nebenbei auch noch Mama Stoker (Nicole Kidman). Nur India sträubt sich, dem fremden Onkel näher zu kommen… denn während er nicht zu gehen scheint, verschwinden plötzlich andere Menschen.

„Stoker“ ist ein Film der starken Bilder. Auch wenn wir es vorwiegend eigentlich nur mit drei Personen zu tun haben, sorgt Park Chan-wook dafür, dass wir diesen Mikrokosmos der Stoker-Familie bis ins kleinste Detail kennenlernen. In jeder Einstellung schwebt etwas Geheimnisvolles, jedes Bild wirkt wie ein Gemälde, das nur darauf wartet, interpretiert zu werden. „Stoker“ wird so zu einem Film, der sehr stark von seinen Bildern lebt… das führt hier und da allerdings auch dazu, dass die Figuren darin manchmal etwas verloren und künstlich wirken.

Gerade Mia Wasikowska und Nicole Kidman erscheinen wie Personen aus einem Katalog. Aalglatt, bildschön und unnahbar. Fast als wären sie nicht von dieser Welt. Und höchstwahrscheinlich ist das, was sich nach Kritik anhört, auch genau das, was Park Chan-wook erreichen wollte. Denn nur so eine Mutter kann ohne großes Nachfragen den fremden Onkel in ihr Haus lassen. Von Trauer ist in dieser Familie nicht allzu viel zu spüren… selbst Onkel Charlie wirkt glücklich darüber, dass er allein mit den beiden Frauen sein kann.

Mit Matthew Goode als Geheimniskrämer Charlie hat Park Chan-wook dann auch den besten Fang gemacht. Ebenfalls wie ein Model aus einem Katalog will man bei ihm mehr als bei den beiden Frauen hinter die Fassade des hübschen Lächelns blicken. Goode verleiht seiner Rolle etwas Unheimliches, Bizarres. An der Figur des Onkel Charlies habe ich auch die meiste Zeit gezweifelt… ist er wirklich nur ein Mensch? Oder ist da mehr? Aber Park Chan-wook geht der Beantwortung dieser Frage immer wieder geschickt aus dem Weg… wir können und dürfen leider nur genauso viel wissen, wie India selbst.

Was mich zusätzlich beeindruckt hat, ist ein kleines Detail, dass ganz zum Anfang kurz erwähnt wird. Hier verrät uns India, dass sie ein äußerst feines Gehör hat. Und darauf sensibilisiert uns auch der gesamte Filme… selbst die leisesten Geräusche wie ein Schlucken oder ein Seufzen dröhnen manchmal mit der Gewalt eines Gewehrknalls durch das sonst so ruhige Haus. Daran muss man sich ein bisschen gewöhnen, doch dann wird „Stoker“ selbst zu einem grandiosen auditiven Erlebnis (vom tollen Soundtrack mal ganz zu schweigen).

Doch allerdings ist nicht unbedingt alles an „Stoker“ so hervorragend. Zur Mitte des Films ziehen sich manche Dialog-Szenen bis ins Unendlich, wirken dann teils ebenso künstlich wie die Figuren, die sie sprechen. Dadurch zieht sich der Film und verliert etwas an Tempo. Auch die Auflösung selbst kam mir nach der wirklich großartigen Vorbereitung etwas lahm vor.

Ansonsten kann man über „Stoker“ trotzdem nicht meckern. Es ist zwar kein „Oldboy“, aber man spürt den Park Chan-wook an jeder Ecke. „Stoker“ ist wahrscheinlich in etwa das geworden, was Alfred Hitchcock aus dem „Lolita“-Thema gemacht hätte… eine spannende Ménage-à-trois mit einem leichten Hauch des Übernatürlichem!

Wertung: 9 von 10 Punkten (ob Korea oder Hollywood: Park Chan-wook hat’s drauf!!!)

6 Kommentare leave one →
  1. 13. Mai 2013 15:20

    Jop, super Film!

  2. 15. Mai 2013 22:49

    Habe ihn zufällig ja nun zweimal gesehen – er gefiel mir auch bei der zweiten Sichtung richtig gut 😀

    • donpozuelo permalink*
      15. Mai 2013 22:58

      Das freut mich!!! Das beweist dann doch irgendwie immer, dass es keine Eintagsfliege ist… obwohl ich auch gerade bei Park Chan-wook nun wirklich keinen Film kenne, den man sich nicht wiederholt anschauen kann 😉

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