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Kino ist wie ein Blind Date. Jeder Kinofilm ist ein neuer Flirt, den man schon zu kennen glaubt. Schließlich hat man sich vorher ausgetauscht. Kleine Informationen hier und da. Ein erstes Gefühl entsteht für den eigentlich noch unbekannten Fremden. Und irgendwann traut man sich dann: „Können wir uns treffen?“ „Natürlich, sehr gerne!“ Und dann wird’s eigentlich erst richtig ernst. Jetzt erst kommen die Fragen auf, mögliche Zweifel: Weiß ich wirklich, was mich erwartet? Kann das, was da jetzt gleich kommt, meine hohen Erwartungen erfüllen? Mit solchen Gedanken steht man dann – mit Rose bzw. Kinokarte in der Hand – und wartet. Was kommt da wohl um die Ecke?
Ich bin jetzt nun tatsächlich noch nicht so wirklich auf einem Blind Date gewesen, dafür aber in genügend Kinofilmen. Und bei einigen wäre ich am liebsten schreiend weggelaufen. Nur selten war die große Liebe mit dabei. Aber dieses eine Mal ist sie gekommen, ruhig, leise und wunderschön – die große Blind Date-Liebe, die in ihrem Internet-Profil nicht geschummelt hat, keine falschen Fotos gepostet hat und genau das ist, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte.
Und diese neue Liebe heißt „Drive“. Ein wunderbar langsamer, fast schon anmutig wirkender Action-Film, der sich ganz diesem stoischen Mann hingibt, der ohne viele Worte auf seinem Zahnstocher kaut und hin und wieder den Fluchtwagenfahrer spielt. Dieser unbekannte Mann, der aus absolut ehrenhaften Gründen einer jungen Frau hilft und dabei selbst in Schwierigkeiten gerät, ist die Art Held, wie sie in einem Film wie „Drive“ gebraucht wird.
Ich liebe Ryan Gosling (natürlich rein platonisch). Nachdem er mir in „The Ides of March“ das erste Mal wieder so richtig ins Bewusstsein gerufen wurde, macht er mit „Drive“ deutlich, dass er jemand ist, auf den man aufpassen sollte. An und für sich macht er in „Drive“ ja außer fahren nicht viel. Aber da ist trotzdem was, was diesen anonymen Fahrer so faszinierend macht. Er ist kein Jason Statham-Transporter, lebt aber auch nach seinen eigenen Regeln. Nur im Gegensatz zu Statham befolgt er seine Regeln. In „Drive“ ist Goslings Fahrer das Einzige, was ruhig bleibt. Dieser Mann ist wie ein Fels in der Brandung. Ein einsamer, aber ehrlicher Mann. Ihm geht es nicht um Geld oder Ruhm oder sonst irgendwas. Er steht einfach zu seinen Prinzipien und macht nur das, was er für richtig hält.
Gosling spielt so subtil und ruhig, dass man ihn schon fast phlegmatisch nennen könnte: Es dauert, bis er antwortet, sich zu jemandem umdreht oder reagiert. Aber es liegt etwas Tiefes, Unbekanntes in dieser Rolle, die sie dennoch furchtbar spannend macht. Es ist die Tatsache, dass wir ihm vertrauen können. Wenn was passiert, dann wird es dieser Mann lösen. Irgendwie wirkt Goslings Fahrer entfremdet und ist doch gleichzeitig wie ein guter Engel. Eine Facette, die die Figur umso interessanter macht.
Ich liebe Nicolas Winding Refn (natürlich auch nur rein platonisch). Und dabei muss ich gestehen, dass ich vorher noch nie was von dem Mann gehört habe (und bis heute auch nicht weiß, wie man nun seinen Nachnamen richtig aussprechen soll). Aber was Refn hier mit „Drive“ abliefert, ist absolut perfekt. Ein Action-Film, der doch irgendwie keiner zu sein scheint und es dann doch wieder ist. Refn bekommt das Kunststück hin, dass Langsamkeit spannend sein kann. Er braucht keine 300 Schnittfolgen, um eine Verfolgungsjagd aufregend zu gestalten. Refn spielt mit unseren Erwartungen: Er fängt rasant an, nur um ein paar Minuten später einen Gang zurückzuschalten. Nein, scheint er zu sagen, bevor hier etwas passiert, müsst ihr erst mal meine Hauptfiguren kennenlernen. Ihr müsst verstehen, warum sie handeln, wie sie handeln. Und wir verstehen das. Sehr gut.
Ich mag es ja, wenn sich Filme die Zeit nehmen, sich auf ihre Figuren einzulassen. Bei Refn gibt es eine unglaubliche Ausgeglichenheit: die wenigen wirklich ultrabrutalen Stellen des Films gegen die vielen ruhigen Momente. Ich kann gar nicht so richtig glauben, dass ich hier gerade tatsächlich über einen Action-Film spreche. Und da stellt sich die Frage, ob man „Drive“ überhaupt als Action-Film bezeichnen darf. Die dämliche Variante, den Film als „Arthouse Action“ zu bezeichnen, gefällt mir noch weniger. Ich glaube, für das, was Refn hier schafft, fehlt uns noch die richtige Bezeichnung. Bis wir die gefunden haben, müssen wir das Ganze wohl einfach unter „absolut Kult“ laufen lassen.
Ich liebe „Drive“ (von ganzem Herzen). Der Film wirkt wie aus den 70er oder 80er Jahren, die Autos, ein Ryan Gosling, der auch James Dean sein könnte, die Tatsache, dass doch noch eine gute Geschichte erzählt wird und die Musik… oh, die Musik. Sonst verschwende ich ja nicht viele Worte über den Soundtrack, aber dieses Mal: Oh mein Gott. Perfekter hätte man Bild und Musik nicht aufeinander abstimmen können. Refn findet die richtige Musik für die richtigen Momente, wodurch sich das „Seh-Erlebnis“ einfach mal um ein vielfaches steigert.
Refn gibt uns mit „Drive“ etwas, dass ich schon für verloren hielt: großartige Kinounterhaltung, bei der wirklich alles stimmt. Ryan Gosling wird durch diesen Film nur noch besser (und gehört für mich neben Michael Fassbender schon jetzt zu den ganz Großen) und dieser Film ist einfach nur großartig.
Ich entschuldige mich schon jetzt für diese Lobhudelei. Aber es ging nicht anders. Ich bin verliebt.
Wertung: 10 von 10 Punkten (Fahr, Ryan, fahr und beschere uns ein absolut geniales Filmerlebnis!!!)
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Kann ich alles so auch doppelt und dreifach unterstreichen…jetzt würde mich aber doch interessieren aus wlechen Filmen du schreiend rausgelaufen bist…Twilight? Last Airbender? Alvin & the Chipmunks 500?
Ich dachte da unter anderem auch an „Immortals“. Aber deine Beispiele sind auch sehr passend.
Hör mir auf, das versuch ich immer noch zu verdrängen….dennoch werd ich mir Mirror Mirror wahrscheinlich antun…immerhin hat der Mann THE FALLL gemacht THE FUCKING FALL!!!!
Das ist jetzt nicht dein Ernst! Aber gut… Sollte der wider Erwarten doch gut werden, kannst du ja Bescheid sagen. 😉
Wir sind beide verliebt. Und ich nicht nur rein platonisch, zumindest bei Ryan Gosling. Sehr schöne Kritik, besonders zur Figur des Drivers!
Danke, danke! Ja, wir sind beide furchtbar verliebt.
Puh, da bin ich ja froh, dass er Dir genauso gut gefällt wie mir 😀
Ich verdaue noch Walhalla Rising. So viel Komödien kann ich heute gar nicht mehr gucken, um die Stimmung wieder auf Normallevel zu bringen 🙂
Ja, der Film war großartig. „Walhalla Rising“ steht deswegen eigentlich auch schon auf meiner Liste. Allerdings hab ich jetzt, nach deinem Kommentar, ein wenig Angst.
Deutlich überschwänglicher als es bei mir jemals ausgefallen wäre, hätte ich mich denn entschieden über „Drive“ zu schreiben. Ryan Gosling spielt ja eigentlich nicht wirklich, er guckt größtenteils – da haben mir sein Lars oder eben Stephen zuletzt in Ides of March besser gefallen. Aber oh ja, der Soundtrack – der passt soooo gut zu den Bildern. Hach, da verliebt man sich tatsächlich fast, nun, fast eben nur.
Wo ist dein Herz, Dos? Dieser arme, einsame Driver. Den muss man doch in sein Herz schließen. Der will doch nur helfen. Um sich selbst zu helfen. Wer würde nicht gerne an so einen Mann glauben? 😉 Und das kriegt Gosling gut hin. Auch lässig gucken will gekonnt sein.
Dazu noch die Musik… Das ist die ganz große Liebe!
Dem ist nichts hinzuzufügen. Meine Kritik dazu fiel ähnlich aus. 🙂 Ein großartiger Film!
Willkommen!!! 😉
Ein wirklich großartiger Film! Und schon jetzt ein absoluter Pflichtkauf (wenn der Driver dann endlich in unsere Wohnzimmer fährt)
Einfach zur UK Blu-ray greifen. 😉 Textmäßig gibt’s ja jetzt nicht die Welt zu verstehen.
Damit habe ich eh kein Problem. Gucke eigentlich fast ausschließlich O-Ton 😉
Perfekt. Zuschlagen und 20x hintereinander ansehen. Die haben den schließlich schon… 😉
Aber gut. Bis der bei uns kommt les‘ ich noch den Roman und hör nebenbei der Soundtrack.
Was die Präsentation angeht kann ich hier voll und ganz unterschreiben. Auch gut hat mir das Einstreuen von unmotivierten Ereignissen gefallen, wodurch die ganze dargestellte Welt viel realistischer wirkt, auch wenn das nicht wirklich konsequent durchgezogen wurde.
In Sachen Story war ich allerdings nicht so begeistert…
Kann auch nicht direkt sagen, woran es lag, aber wenn einem beim Schauen schon Continue-Fehler auffallen, ist das normalerweise kein gutes Zeichen. ^^
Könnte allerdings daran liegen, dass das ganze Design des Protagonisten mir nich zugesagt hat.
Was meinst du denn mit Continue-Fehlern??? Kann mich jetzt gar nicht so recht daran erinnern, dass mich irgendwas an der Story gestört hätte. Ich fand alles, von der ersten bis zur letzten Minute, super und eigentlich auch recht schlüssig.
Okay, ich war anscheinend noch im Tran, als ich das hier schrieb, deshalb verzeih die falsche Wortwahl.^^
Ich meinte eigentlich nur, dass mir solche minimal Fehler wie das Wechseln der Wunde von einer Seite auf die Andere auffielen. Ich bin keiner, der einen Film deshalb kritisiert, aber sonst fällt mir sowas auch nicht mal auf, wenn man nicht mit dem Neonschild draufhinweist.
Die Story war schlüssig und auch die nicht weiter geführten Nebenstränge wie das aufgestellte Rennteam haben mir gefallen, es war ab einem bestimmten Punkt aber einfach zu vorhersehbar.
Aber vielleicht ist meine Einschätzung einfach nur dem desolaten Zustand, in dem ich mich bei der Sichtung befand (was wiederum am vorangegangenen St.Patricks Day liegen könnte) geschuldet. 😉
😀 Das klingt gut: „St. Patrick’s Day war Schuld“. Dann verzeihe ich dir!