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Der Sammler

3. Oktober 2011

Jeder sammelt irgendwas. Ich habe mal eine ganze Zeitlang diese Figuren aus den Überraschungseiern gesammelt (hat das nicht jeder???), bis sie der Mülltonne zum Opfer fielen. Ich hab auch Steine und allen möglichen anderen Mist gesammelt, aber von meinen Sammler-Tagen ist nicht mehr viel übrig geblieben. Ich glaube, wenn man mehr als einmal umgezogen ist, dann vergeht einem einfach die Lust danach, irgendwelches Zeug zu sammeln: Zu viele Kisten!!! Könnte es aber trotzdem sein, dass das Sammeln einfach in unserer Natur liegt – quasi „Jäger und Sammler“-mäßig. Alles, was von meinem Sammler-Gelüsten geblieben ist, passt an einen Nagel an der Wand: Da hängen jetzt die Dutzend Presseschildchen, die man mir auf den verschiedensten Veranstaltungen um den Hals hängt, damit das brave Pressehündchen auch wieder zu erkennen ist.

Ein richtig krasser Sammler war ich aber nie, ganz im Gegensatz zu Jonathan Safran Foer (Elijah Wood), der so ziemlich alles sammelt, was mit der Geschichte seiner Familie zu tun hat. Als er ein Foto bekommt, auf dem sein Großvater mit einer Unbekannten namens Augustina zu sehen ist, macht sich Jonathan auf die Suche nach dieser Frau. Schließlich soll es diese Frau gewesen sein, die seinen Großvater in der Ukraine vor den Nazis gerettet hat. Also macht sich der unscheinbare Jonathan auf die Reise. Unterstützt wird er dabei von dem jungen Alex (Eugene Hütz), dessem verrückten Opa (Boris Leskin), der sich für blind hält, aber trotzdem ganz gut Auto fährt und der „Seein‘ Eye Bitch“ Sammy Davis Jr. Jr., Opas angeblicher Blindenhund.

Es sind Filme wie dieser, die doch immer wieder durchblicken lassen, dass Hollywood neben all den riesigen Blockbustern auch noch richtig gute Geschichten erzählen können. „Alles ist erleuchtet“ gehört dabei in die Kategorie „Little Miss Sunshine“: Kleiner, netter Independent-Film, der sich vor allem durch seine wunderbaren Charaktere auszeichnet. Dabei geht es nicht mal so sehr um Elijah Wood. Als Jonathan Safran Foer (ja, es ist der Schriftsteller gemeint, dessen Buch hier verfilmt wird) ist zwar Motor der Geschichte, aber bleibt sonst eher unscheinbar. Ein glatt gegelter Amerikaner in der Ukraine, der wenig redet, noch weniger Fleisch isst und Malboro-Zigaretten als Trinkgeld verteilt. Er wirkt fast so konserviert wie die zahlreichen Sammlerstücke, die er in seinen Plastiktüten aufbewahrt. Als schöner Gegensatz dazu liefert uns der Film ja aber Alex und seinen Opa. Alex ist ein junger Ukrainer, der sich voll und ganz dem Westen verschrieben hat: Hip Hop, Coca Cola, dicke Autos. Er wäre wohl der Vorbild-Botschafter für die USA in der Ukraine, wenn die denn sowas suchen würden. Aber selbst dieser aufgedrehte Typ schafft es nicht an der Oberfläche von Jonathan zu kratzen.

„Alles ist erleuchtet“ fängt sehr, sehr komisch an: Ost trifft West in zwei sehr gegensätzlichen Figuren. Jonathan stößt mit seinen merkwürdigen Anforderungen nur auf Verständnislosigkeit und rüttelt dabei sogar an dem USA-Bild von Alex. So einen Amerikaner wie Jonathan hat er nie für möglich gehalten. Weiterer Comedy-Pluspunkt des Films ist die Sprache: Alex‘ Akzent plus seine merkwürdigen Wortneuerfindungen beleben die Figur ungemein. Gleichzeitig muss ich hier einfach noch den Appell starten: Schaut DVDs im O-Ton. „Alles ist erleuchtet“ ist einer dieser Filme, der eigentlich unmöglich zu synchroniseren ist. Der Film lebt durch die Sprache. Egal wie gut die Synchronisation auch sein mag, sie zerstört einen wichtigen Teil des Films.

Regisseur Liev Schreiber (ja, der Liev Schreiber, der ja eigentlich eher Schauspieler ist) führt seine Figuren sehr liebevoll durch den Film, was auch dringend nötig ist. Je mehr Jonathan über Augustina und seinen Großvater erfährt, desto mehr wird „Alles ist erleuchtet“ zu einem berührenden Drama, dass selbst Alex und seinen Großvater verändert.

„Alles ist erleuchtet“ ist ein schöner Film, ein witziger Film, aber auch ein trauriger Film, der noch lange nachwirkt. Dank guter Schauspieler, einem absolut genialen Osteuropa-Rock-Pop-Soundtrack und einer spannenden Geschichte ein perfektes kleines Filmjuwel.

Wertung: 9 von 10 Punkten (toller Film über Sinnsuche in der Fremde – mit viel Witz und Liebe gemacht)

8 Kommentare leave one →
  1. 4. Oktober 2011 07:51

    Ein großartiger Film! Allerdings finde ich, dass die eigentliche Hauptperson der Opa ist. Denn der wird durch das Auftauchen des Amerikaners gezwungen, sich mit seiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, und dagegen wehrt er sich ja auch den ganzen Film. Und es geht um das Verhältnis des Opas zu seinem Enkel, weil der Opa eben seine Lebenslüge lebt und der Enkel mit der Wahrheit konfrontiert wird.

    • donpozuelo permalink*
      4. Oktober 2011 08:53

      Der Opa ist ein wichtiger Antrieb des Films, das stimmt schon. Hauptpersonen sind sie alle drei, obwohl der Opa irgendwie gekonnt im Hintergrund gehalten wird, was aber wohl hauptsächlich daran liegt, dass sein Enkel ihm dank großer Sprüche die Show etwas nimmt. Aber du hast natürlich recht, am ende geht es fast mehr um die Geschichte zwischen Opa und Enkel.

  2. 4. Oktober 2011 12:41

    Ich erinnere mich auch an einen guten Film, den ich *wegduck* bisher nur auf Deutsch gesehen habe. Wunderbar skurril und anders.

    • donpozuelo permalink*
      4. Oktober 2011 14:18

      😀 Brauchst dich nicht wegzuducken. Das mit dem O-Ton ist ja nur eine Empfehlung. Ich bin mir sicher, dass unsere fleißigen Synchronsprecher sich bei diesem hervorragenden Film besonders viel Mühe gegeben haben 😉

  3. 5. Oktober 2011 07:55

    Liegt bei mir schon ewigs rum. Also so richtig RICHTIG ewig. Werde ich mir demnach also mal antun.

  4. 8. Oktober 2011 21:22

    Das kann ich mal wieder nur unterschreiben. Culture-Clash trifft Vergangenheitsbewältigung, verknüpft durch skurrilen jüdischen Humor (die Diskussion über Vegetarismus werde ich wohl nie vergessen), zum Ende hin immer stärker werdend. Supidupi.

    • donpozuelo permalink*
      9. Oktober 2011 10:21

      😀 Ja, die Kartoffel-Geschichte ist großartig. Wie der Rest auch. Halt supidupi 😉

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