Emotionslos
Mein erster Arbeitstag hier in Berlin fing relativ gruselig an. Nicht etwa, weil die Kollegen besonders fies waren oder die Arbeit beschissen lief, sondern weil mich das Geschehen in der U-Bahn furchtbar gegruselt hat. Dazu muss ich sagen, ich bin ja eher ein Provinz- als ein Großstadtkind. U-Bahnen kannte ich bis daher auch nicht so richtig. Und die Berliner Frühmorgen-Zombie-Prozessionen erst recht nicht. Dicht gedrängt quetschen sich die Menschen durch die Gänge, Treppe rauf, Treppe runter. Keiner verzieht da eine Miene, keiner redet groß mit irgendwem. Graue Massen stumm auf dem Weg zur Arbeit. Dieses Bild sorgte bei mir für ein Déjà vue: Da musste ich an diese eine Szene aus Kurt Wimmers „Equilibrium“, in der ein erstaunter Christian Bale höchstwahrscheinlich die gleichen Gedanken hatte wie ich.
Nur in Bales Welt sind die Menschen tatsächlich emotionslose Wesen. Nach dem dritten Weltkrieg hat man sich in der Welt von Kurt Wimmers „Equilibrium“ dazu entschieden, die Emotionen der Menschen mit Hilfe von Drogen zu unterdrücken. Schließlich wurden Gefühle als gefährlich eingestuft. Doch in dieser heilen Welt gibt es immer noch Rebellen, die sich gegen diese Drogen wehren, die Gemälde, Bücher und Musik bewahren wollen. Um gegen diese Individuen vorzugehen, hat der allmächtige Vater die Kleriker. So ein Kleriker ist John Preston (Bale). Doch als sich sein Kollege Partridge (Sean Bean) als „Gefühlsmensch“ offenbart und Preston ihn töten muss, beginnt auch dieser Kleriker am System zu zweifeln.
„Equilibrium“ war mir lange Zeit überhaupt kein Begriff. Eher durch Zufall bin ich auf den Film von Kurt Wimmer gestoßen und seit dem ersten Sehen ein großer Fan. 1999 machten sich ja die Wachowski-Brüder mit „Matrix“ zu den Rettern des intelligenten, aber trotzdem actionreichen Science-Fiction-Films (was sie sich aber – ganz nebenbei – durch ihre zwei Folgefilme ein wenig kaputt gemacht haben). In dieser Zeit und der Nachfolgezeit war es – stelle ich mir zumindest vor – für einen Filmemacher ziemlich schwer, einen Film zu machen, der nicht sofort als „Matrix“-Abklatsch zerrissen würde. Kurt Wimmer hat es 2002 dennoch gewagt und einen grandiosen „Matrix“-Nachfolge-Film hervorgebracht (und dabei auf Fortsetzungen verzichtet).
Wimmers Story ist für den Sci-Fi-Kenner bei weitem nichts Neues. Besonders die Kleriker und ihre Jagd nach allem, was Emotionen auslösen könnte, erinnert sehr stark an „Fahrenheit 451“, wo Feuerwehrmänner Bücher verbrennen. Es hat aber auch ein wenig was von Huxleys „Brave New World“. Es ist eine sterile Welt, „Libria“ genannt, die spartanisch und kalt ist. Alles ist grau in grau, eine Welt in der nur die Überfigur „Vater“ zu Leben scheint. Wie „Big Brother“ in Orwells „1984“ ist „Vater“ überall – auf Leinwänden, im Fernseher, selbst auf riesigen Zeppelinen schwadroniert Vater über die Wirkung der Emotionsbekämpfenden Drogen und wie wichtig das doch alles ist. Wimmer baut hier eine erschreckende Zukunftsvision auf, in der man als klar denkender Mensch nur Sympathisant für den Widerstand werden kann. Und so freut es einen dann auch, wenn Preston anfängt, zu zweifeln und seine Drogen nicht mehr nimmt. Der schönste Moment in der Verwandlung Prestons ist wohl der, als er anfängt, seinen akkurat dekorierten Schreibtisch umzuräumen. Eintönigkeit ist halt doch langweilig.
In einer Zeit noch vor seinem Aufstieg zum Dunklen Rächer darf Christian Bale in „Equilibrium“ beweisen, dass er ein guter Kämpfer für das Gute ist. Schließlich hat sich Kurt Wimmer nicht nur darauf beschränkt einen intelligenten Sci-Fi-Film zu schaffen, sondern auch einen geilen Action-Film mit ganz eigener Kampfkunst: Das Gun-Kata. Der Kleriker vermischt Schußwaffen mit Martial-Arts und Wimmer hat so die Gelegenheit, geile Kampfsequenzen zu zeigen, die wirklich reinhauen. Also ohne Scheiß, ob mit Pistole, Sturmgewehr oder Schwert – die Kampfkunst in „Equilibrium“ kann sich echt sehen lassen.
Dass trifft dann auch auf den gesamten Film zu. Wer also mal eine gelungene Abwechslung zu „Matrix“ sucht, der sollte sich zwingend „Equilibrium“ anschauen.
Wertung: 9 von 10 Punkten (Bale im Kampf gegen Emotionen… und dann für sie)
Den fand ich bei der Erstsichtung auch noch ganz groß (8 Punkte), doch spätestens bei der Zweitsichtung (6 Punkte) haben sich seine Schwächen doch gezeigt: Zu oberflächlich und actionbetont.
Ach, so schlimm fand ich den jetzt nicht. Ich habe den auch schon öfter gesehen und komm damit eigentlich ganz gut klar. Mehr als Action erwarte ich von dem Film auch nicht, wenn die dann noch eine interessante Story zugeteilt bekommt… umso besser 😉
Hab ich nur Bruchstückhaft gesehen erinnerte mich aber irgendwie ziemlich stark an Matrix
Der Film fiel halt so ein bisschen ins Fahrwasser der ganzen Matrix-Geschichte, grenzt sich aber dennoch ganz gut davon ab. Plus: Es gab keine überflüssigen Fortsetzungen, es gab einen gut aufgelegten Christian Bale und es gab tolle Fights, die es mit Matrix locker aufnehmen können. Von daher kann man sich den auch mal ganz anschauen. 😉
Ein klein wenig grösseres Budget hätte dem Film gut getan. Besonder gewisse Aussenaufnahmen der Stadt sind schon arg billig…selbst für 2002.
Ansonsten mag ich den Film aber auch sehr.
Ja, größeres Budget wäre sicherlich nett gewesen, aber ich schätze mal, dass Wimmer keine glaubwürdige Tragkraft für die Produzenten hatte, um ihm mehr Geld zu geben. Zumal die Gefahr des Matrix-Vergleichs ja auch immer bestand und noch besteht (siehe Maloney 😉 )
Habe ich einst zum Philosophie-Unterricht beigetragen, da haben sich die meisten von der Action zu sehr ablenken lassen, dass das eigentliche totalitäre System dahinter vergessen wurde. Bin mit dir einer Meinung, geile Action mit einer klugen Geschichte – gibt’s viel zu selten (Sucker Punch als Gegenstück zum Beispiel)
Den im Philosophie-Unterricht? Ist ja witzig. Wir haben damals tatsächlich „Matrix“ geguckt. Aber egal welchen Film man schaut, hinter der Action bleibt die Philosophie natürlich stecken. Obwohl unsere Lehrerin das bei uns noch ganz gut retten konnte. 😉
Aber mal ehrlich, wenn im Schulunterricht mehr solcher Filme gezeigt würden…. wäre schon was feines. (Obwohl dann wahrscheinlich wieder Elternverbände auf die Barrikaden gehen würden, dass solch gewalttätige Filme gezeigt werden)
Die Story ist freilich quer durch die SciFi-Geschichte zusammengestückelt und geht nicht besonders tief, aber seien wir ehrlich, „Matrix“ war auch vergleichsweise oberflächlich. Von daher: Schon ein cooler Film, der sich aber nicht unbedingt für philosophische Diskurse eignet. Macht während der Sichtung auch einen besseren Eindruck als im Rückblick.
Zerstückelt ist gut. Ich glaube, die haben ja wirklich von allem etwas genommen. Man könnte wahrscheinlich ne riesige Liste von Filmen und Büchern zusammenstellen, die dafür herangezogen wurden.
Für philosophische Diskurse eignet sich dann Matrix vielleicht doch ein wenig besser, aber wenn man will, kann man aus allem was rausholen 😉