Hat der Kreisel nun gewackelt oder nicht?
Offizieller Kinostart war der 29. Juli 2010. Und das war für mich eigentlich der Termin der Termine. Als einer der ersten (oder wenigstens zweiten) wollte ich mir den so viel und hoch gelobten Film von Christopher Nolan „Inception“ anschauen, aber irgendwas kam irgendwie immer dazwischen. Mittlerweile haben wir Oktober, ich habe schon zig andere Filme im Kino gesehen, ohne in den Genuss von „Inception“ gekommen zu sein.
Jetzt endlich habe ich ihn gesehen und ja, ich nehme meine Behauptung aus dem Bericht zu „The Town“ zurück: „Inception“ ist der Film des Jahres 2010.
Aber was soll ich noch Neues schreiben, was andere von euch nicht schon selber geschrieben oder irgendwo anders gelesen haben? „Inception“ bringt die neue Steigerung in den Begriff „Sci-Fi-Action“. Atemberaubend und spannend bis zum Schluss. Halt Action mit Köpfchen. Die Geschichte um Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) ist großartig, verschachtelt und fordert dadurch den Zuschauer immer wieder auf, gebannt auf die Leinwand zu schauen. Wenn Cobb und seine Leute versuchen, einen Gedanken in den Kopf des jungen Erben Robert Fischer (Cillian Murphy) zu setzen, wird uns die unendliche Weite der Träume deutlich. Realität wird bei Nolan ein sehr dehnbarer Begriff und allein sogenannte Totems sollen den Gedanken-Dieb klar machen, was Realität ist und was nicht (in Cobbs Fall ist das besagter Kreisel). Aber Realität ist in „Inception“ ein riesiges, mehrgeschossiges Gebäude: Es gibt nicht eine, sondern gleich mehrere. So erzählt Nolan nicht nur von einem Traum, sondern von vielen Träumen.
Und genau das ist es, was den Zuschauer fesselt: Statt brav von einem Traum in den nächsten überzugehen, zeigt uns Nolan immer wieder was parallel in einem anderen Traum getan wird. Jede Handlung greift ineinander über, alles ist entscheidend, jeder Fehler könnte damit enden, für immer im Traum gefangen zu sein. Das ist herrlich verwirrend, aber spannend zugleich. Man kann über „Inception“ viel reden, man könnte sogar das Ende verraten oder spoilern, dass es ein Traum im Traum im Traum im Traum ist. Das Wissen aber allein reicht nicht aus: Es sind nur Fakten. Der Weg dahin und die ganze Struktur des Films ist es, was „Inception“ so großartig macht. Es geht nicht nur um einen klassischen Heist in neuverpacktem Gewand, es geht auch um die Bekämpfung eigener Schuldgefühle. Die dabei mit eingeschobene Geschichte zwischen Cobb und seiner Frau wirkt wunderbar als philosophisches Lehrstück zwischen all der Action. Was ist ein Gedanke? Und was kann ein kleiner Gedanke, eine kleine Idee alles auslösen? Und noch viel krasser: Was anfangs gut erscheint, muss nicht immer positive Resultate nach sich bringen.
Ich glaube, wir können uns nur von Christopher Nolan verbeugen. Der Mann hat selbst einen so großartigen Kopf, dass ich nur zu gerne selbst in seine Träume eindringen würde, um die ein oder andere Idee zu stehlen. Nolan vereint eine großartige Riege an Schauspielern in einem großartigen Film, der eigentlich im Zeitraum eines von der Brücke stürzenden Vans erzählt wird. Aber gut, Zeit spielt ja hier eh eine eher untergeordnete Rolle. Außer es kommt darauf an, den richtigen Zeitpunkt zum Aufwachen zu finden. 😉
„Inception“… jaja, am liebsten würde ich gleich nochmal ins Kino rennen. Aber leider komme ich da zu spät. Mein Kino verbannt diesen tollen Film aus seinem Programm und verflucht mich dazu, auf die DVD zu warten. Bis dahin muss ich mit meinen vielen Fragen alleine bleiben: Hat der Kreisel nun gewackelt oder nicht?
Aber wollen wir auf diese Frage wirklich eine Antwort wissen? Eigentlich nicht – Nolan schafft mit diesem letzten Bild das beste Ende für einen der besten Filme überhaupt. Vielleicht hat der Kreisel gewackelt, vielleicht auch nicht. Da hilft nur noch einmal gucken.
Wertung: 10 von 10 Punkten (das Highlight des Jahres)
Trackbacks
- Parallel-Universum « Going To The Movies
- Es ist geschehen… « Going To The Movies
- Alles nach Plan « Going To The Movies
- Kollektives Träumen « Going To The Movies
- 2010 « Going To The Movies
- Puppenspieler « Going To The Movies
- Von wegen Betonschuhe!!! « Going To The Movies
- Aliens, Swayze und ein Zeitreisebär « Going To The Movies
- Goyas „Hexen in der Luft“ | Going To The Movies
- Echte Hassliebe | Going To The Movies
- Deus ex machina | Going To The Movies
- Die Reise durch das Wurmloch | Going To The Movies
- Bewusstes Träumen | Going To The Movies
- Eins, Zwei – Freddy kommt vorbei | Going To The Movies
- Die Suche nach dem perfekten Stöhnen | Going To The Movies
- Blogparade: My 100 greatest films of the 21st century… so far | Going To The Movies
- Zauber-Doktor Merkwürdig | Going To The Movies
- Meine To-See-Liste für 2020 | Going To The Movies
- Ich bin du | Going To The Movies
- Der Mann aus seinen Träumen | Going To The Movies
- Filmreise Etappe #59: Willkommen in Koma-Land! | Going To The Movies
- Papa, verrecke! | Going To The Movies
- Tödliche Visionen | Going To The Movies
Die Frage ist doch nicht, ob er gewackelt hat oder nicht, sondern, ob er umgefallen ist. Gewackelt hat er offensichtlich etwas. Und ja, das ist wohl mit einer der besten Schlussschnitte der letzten Zeit gewesen, perfekt getimed und mit einem kleinen Augenzwinkern versehen, ein kleines Späßchen zum Schluss vom Nolan 😀
Willkommen!
Da hast du wohl recht! Aber die eigentliche Frage ist, ob es wirklich wichtig ist, was mit diesem Kreisel passiert. 😉
Ich habe vorhin aber zum Beispiel gelesen, dass man am Ende des Abspanns HÖREN soll, wie der Kreisel umkippt. Aber das bedarf einer erneuten Prüfung.
Ganz so euphorisch sehe ich den Film dann doch nicht, auch wenn er natürlich sehr gut ist.
Ich hab das gleich nach dem Film geschrieben und war irgendwie noch sehr geflasht. 😉 von daher mag man die Euphorie vielleicht entschuldigen.
War ja zu erwarten. 😉 Dass „Inception“ für mich nicht der Film des Jahres war, ist bekannt. Spannende Unterhaltung, aber kein Meisterwerk. Und wird beim zweiten oder dritten Anschauen vermutlich auch nicht unbedingt besser.
Tja, das mit dem zweiten und dritten Anschauen ist so die Sache. Ich habe auch vorsichtige Bedenken über ein zweites Anschauen. Ist mir schon zu oft passiert, dass ich erst sehr euphorisch und später dann doch weniger beeindruckt war. Sollte das wieder der Fall sein, dann gibt es nen Nachtrag 😉
Also ich habe ihn drei mal im Kino gesehen und fand ihn jedes Mal gleich gut, wenn nicht sogar noch besser. Immer wieder fallen einem kleine Details auf, die vorher unwichtig wirkten, im Nachhinein die Story um Einiges realer machen. Vermeintliche Logikfehler ergeben plötzlich Sinn und fügen sich perfekt in das Gesamtbild.
Auf jeden Fall auch mein Highlight des Jahres. Sicher kein filmisches Meisterwerk, aber das muss ein Film auch nicht sein. Großartige Unterhaltung, Daumen hoch für Nolan. 😀
Drei Mal?!? *neid* 😉
Daumen hoch für Nolan ist korrekt. Was man sich nur fragen muss, was kommt danach?
Mir ging es genauso wie dir. Ich war baff über das Gesehene und nun freue ich mich schon länger auf die DVD, um den Film noch- und noch- und nocheinmal zu sehen.
Ich halte zwar die ganzen Theorien über die Komplexität des Films für ziemlich Stuss, weil es nur ein Unterhaltungsfilm ist, aber trotzdem gebührt Nolan hier wieder einmal ein großes Lob.
Naja, so komplex fand ich den Film auch nicht, aber man musste schon ein wenig aufpassen. Gerade im zweiten Teil, wenn die verschiedenen Träume gleichzeitig gezeigt werden: Während die einen noch versuchen, die Inception durchzuführen, bereiten sich die anderen in unterschiedlichen Level des Traums darauf vor, die Kicks einzuleiten.
Das fand ich ziemlich spannend, war aber vielleicht für manche auch etwas zu viel. Zumindest als ich aus dem Kino raus bin, habe ich viele gehört, die fragten, ob ihre Begleiter den Film verstanden hätten. So viel misszuverstehen gab’s da ja wirklich nicht.
Genau so sehe ich das auch. Im Grunde ist es ja eine vollkommen lineare Story, die eben nur in verschiedenen Ebenen präsentiert wird. Wie bei „Memento“ verschleiert Nolan die Einfachheit seiner Geschichte – aber das macht er wie kein Zweiter wirklich hervorragend.
Die Schlussszene mit dem Kreisel ist im besten Falle ein Gag, der meiner Meinung nach gar nicht zum Rest des Films passt, zumindest nicht in die Machart Nolans.
Ob die Schlussszene ein Gag sein soll, weiß ich nicht. Habe ich nicht unbedingt als Gag empfunden. Eher fand ich es ein würdiges Ende.
Ich hatte mich sowieso die ganze Zeit gefragt, wie er diesen Film zu Ende bringen will. Und da fand ich diesen Schwenk auf den sich drehenden Kreisel, der leicht zu wanken scheint, eigentlich ziemlich genial.
Hm, ich weiß nicht. Der Film beschäftigt sich zwar die ganze Zeit mit Träumen, aber dann im letzten Viertel (und schließlich mit der Schlussszene) diese Frage in den Raum zu werfen, was ist real, was nur Traum, das war doch ein wenig billig. Immerhin dient es seinem Zweck: Über diese Szene reden alle…
Da hast du wohl Recht. Über die Szene reden alle. (Dabei sah der Sturz des weißen Vans in extremer Zeitlupe viel schöner aus 😉 )
Aber ich bleibe dabei, ich finde das Ende so ziemlich gut.